Sonderfonds Östliches Europa
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Laudatio für Nikolaus Gerold: Prof. Dr. Frank Heidemann


Laudatio für Herrn Nikolaus Gerold anlässlich der Verleihung des
Georg-Schroubek-Preises –
Internationales Begegnunszentrum, München, den 21.11.2014

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist mir eine große Ehre, Ihnen heute Herrn Nikolaus Gerold anlässlich der Verleihung des Georg-Schroubek-Nachwuchspreises vorzustellen. Der Preis wurde [verliehen] für seine herausragende Magisterarbeit im Fach Ethnologie mit dem Titel „Denn jedes Opfer fordert ein weiteres. Der Aspekt des Opfers in der Erinnerung an den kosovoalbanischen Nationalhelden Adem Jashari“ [verliehen]. In dieser Arbeit widmet sich Herr Gerold einem ubiquitären Phänomen, der Verehrung von charismatischen Personen, die sich durch ihren Mut, ihren Einsatz für die Gemeinschaft und ihre unerbittliche, Gewalt einschließende Haltung ausgezeichnet haben, und dabei zu Tode kamen. Dieser Typus wird seit langem von der eigenen Gruppe als Märtyrer bezeichnet, die Seite der Gegner findet hierfür andere, jedoch gleichermaßen polarisierende Begriffe. Das Thema ist somit eingebettet in eine weit zurückreichende Geschichte, in die Region des Kosovo und die Osteuropaforschung, aber auch in einen kontemporären, weltweiten Kontext. Der Ethnologie ging und geht es immer um die Einbeziehung der emischen Sichtweise, wobei jedoch ein Kulturvergleich und eine kritische Introspektion eingeschlossen sind. Dies ist Herrn Gerold mit diesem brisanten, intellektuell und emotional schwer zugänglichen Thema im höchsten Maß gelungen.

Doch zunächst zur Person. Herr Gerold stammt aus Uffing am Staffelsee, hat dort die Grundschule und später das Benediktiner Gymnasium in Ettal besucht. Nach einem Jahr als Zivildienstleistender nahm er das Studium der Germanistik, NDL und Europäischen Ethnologie an der LMU auf. Im Sommersemester 2007 fuhr er das erste Mal in den Kosovo, zu dem er eine geradlinige genealogische Beziehung hat, jedoch Kultur und Sprache nicht kannte. Die Auseinandersetzung mit dem kulturell Fremden führte ihn dann zum Wechsel seines Hauptfachs, das fortan Ethnologie hieß. Zur Europäischen Ethnologie als Nebenfach wählte er die Vergleichende Religionswissenschaft hinzu, deren Theorien auch später in seine Magisterarbeit einfließen sollten.

Ich habe Herrn Gerold in meiner Einführungsvorlesung und später in Proseminaren als engagierten Studenten kennengelernt, dessen Interessen scheinbar jeden Teilbereich des Fachs berührten. Schon damals zeichnete sich ab, dass er über einen kreativen Geist und ein hohes Maß an Selbstdisziplin verfügt. Nach seinen ersten Seminararbeiten zählte ich ihn – ohne es jedoch auszusprechen – zum potentiellen wissenschaftlichen Nachwuchs. Mit einer an Selbstverständlichkeit grenzenden Leichtigkeit verband er komplexe Entwürfe und theoretische Modelle mit augenscheinlichen und offenkundigen Ereignissen, womit nicht nur ein Verständnis des Faches, sondern auch die Fähigkeit zur Transferleistung demonstriert wurde. Zu den Veranstaltungen, an die ich mich besonders gut erinnere, zählte auch ein Indien-Seminar, in dem wir im Sinne einer „writing-culture“ Fragestellung Klassiker gemeinsam mit Anglisten gelesen haben. Doch zu Indien später mehr.

Zunächst zum Naheliegenden. Herr Gerold plante seit Beginn seines Studiums eine stationäre Forschung im Kosovo, führte daher mehrere empirische Untersuchungen im Rahmen von Proseminaren durch, und besuchte – über seine beiden Nebenfächer hinaus – [regelmäßig] [das Lehrangebot] [Lehrveranstaltungen] der Albanologie. Jährlich reiste er in den Kosovo, erlernte die Sprache, nahm Kontakt zu seinen paternalen Verwandten auf und fand schnell Zugang in eine Gemeinschaft, die einerseits so ähnlich, andererseits jedoch fremd war und blieb. Der familiären Nähe standen Kriegserfahrungen und ein unhinterfragter Nationalismus entgegen. Herr Gerold tat, was Ethnologen vor ihm mit Erfolg praktiziert haben. Er richtete seinen Fokus auf das, was in ihm den größten Verfremdungseffekt hervorrief: Der Märtyrerkult, der nicht nur den Kampf, sondern auch das Selbstopfer überhöht. Mit der Wahl dieses Forschungsthemas wurde der Ethnograph zur sozial unbestimmten Person, denn der Nähe im Alltag stand die Fremde des Märtyrerdiskurses gegenüber. Dies spitzte sich bisweilen in konkreten Situationen dermaßen zu, dass seine Rolle in einem Interview innerhalb eines gesprochenen Satzes mehrfach wechselte. Im Rückblick - und im vorliegenden Manuskript – erwies sich dies jedoch nicht als Problem, sondern als Herausforderung, mit der der Verfasser kreativ und gewinnbringend umging. Als Ethnograph - und zugleich affinaler Verwandter – wurden ihm nicht nur Fakten, sondern auch Emotive vermittelt. Die Erwartungshaltung seitens der Informanten bezog sich dann nicht allein auf das Notieren des Gesagten, sondern auch auf eine emotionale Partizipation am Forschungsgegenstand. Diese Spannung hat Herr Gerold in seiner Arbeit keineswegs verschwiegen und dem Leser somit einen multisensorischen Zugang zum Thema eröffnet. Nationalismus findet nicht nur auf Bühnen, in Texten, in Köpfen, sondern auch im Bauch statt.

Der konkrete Untersuchungsgegenstand ist der Kult um den Nationalhelden Adem Jashari, der im März 1998 in einem dreitägigen Gefecht gegen serbische Paramilitäreinheiten mit insgesamt 47 Personen, davon 21 Familienmitgliedern, seinen Wohnsitz bis zum Tod im Kampf verteidigt hat. Eine seiner Nichten, die als einzige Person überlebte, wurde zur Kronzeugin der Ereignisse, die in Narrativen mehrfach transformiert zu dem zentralen Heldenmythos in albanophonen Gesellschaften wurden. Adem Jashari wird in seinem zerstörten Haus wie in einem Schrein verehrt, die Jahrestage seines Todes werden im großangelegten Zeremoniell begangen, und die Presse einschließlich der Fernsehsender berichten [ausführlich] [detailliert] von den Ereignissen. In Schulbüchern findet sein Leben [ausführlich] Erwähnung, Heldengesänge wurden komponiert, und die Erinnerungen an seinen Kampf und Tod literarisch verarbeitet, Statuen wurden errichtet, und sein Bild in Kampfuniform und Waffen hängt [im Großformat] [als leinwandgroßes Plakat] am Kulturzentrum in Pristina.

Aus diesem dichten Material leitet Gerold en passant die erstaunliche These ab, dass der Übergang von einem kommunikativen Gedächtnis (also was gesprochen wird und daher dynamisch und verhandelbar ist) in ein kollektives/kulturelles Gedächtnis (also in eine unhinterfragte ontologische Verankerung fällt) nicht – wie von Jan Assmann vorgeschlagen – nach einigen Generationen geschieht, sondern durchaus innerhalb eines Jahrzehnts erfolgen kann. Gerold analysiert die Heldenverehrung wie einen Mythos und zieht ethnologische Opfertheorien hinzu. Eine Selbstopferung, die als Gabe von einer Gesellschaft angenommen wird, zwingt zur Gegengabe, einem Bekenntnis zur Nation, der auch Taten folgen müssen. In diesem Fall waren es nicht nur Monumente, die errichtet wurden, sondern auch die Zahl der freiwilligen Kämpfer stieg signifikant nach der Verbreitung der Todesnachricht des Märtyrers. Mit dieser Grundstruktur spricht Gerold zahlreiche Ereignisse an, die in Osteuropa gemeinschaftsbildend und polarisierend gewirkt haben. Somit ist seine Magisterarbeit weit mehr als Ethnographie eines zentralen Heldenkults, denn sie zeigt theoriegeleitet ein Modell auf, das für die Erforschung gesellschaftlicher Transformationsprozesse ein heuristisches Konzept bildet.

Ich freue mich sehr über die Vergabe des Georg-Schroubek-Nachwuchspreises für diese Forschungsarbeit. Ohne Zweifel hat die Preisvergabe die Motivation des Preisträgers weiterhin zu forschen enorm gesteigert. Derzeit bereitet Herr Gerold einen Forschungsantrag vor, der als Drittmittelprojekt bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingereicht werden soll. Im Mittelpunkt stehen Jugendliche in kontemporären Konfliktfeldern in Nord-Ost-Indien, die somit einen völlig neuen Kontext und somit eine ethnographische Herausforderung darstellen. Dies wird jedoch – so zeigen es zahlreiche Biographien – keine Abkehr vom ersten Forschungsfeld sein. Die ersten Forschungserfahrungen haben sich – bei mir und vielen meiner Kollegen – als dermaßen prägend erwiesen, so dass man immer wieder auf sie zurückgreift, ins „erste Feld“ zurückreist, und langfristige Kontakte hält. Ohne jeden Zweifel wird die Verleihung des Preises diesen Prozess nachhaltig stützen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.