Sonderfonds Östliches Europa
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Magisterpreis 2010: Sylvia Matzke

Sylvia Matzke

Inszenierungen des Körpers in der polnischen Fotografie der 1990er Jahre

 

Trotz des gestiegenen Interesses an einer Erkundung der Kunst Mittel- und Osteuropas, zeigen die noch vorherrschenden Ansichten über Zentrum und Peripherie und die daraus resultierende fehlende Aufarbeitung dieser Kunstrichtungen als (Re)Integration in schon geschriebene Kunstgeschichten immer noch die Grenzen des Diskurses auf. Die gedanklichen Schranken der Identitätskonzepte von „Ost“ und „West“ können nur durch eine neue Definition des geopolitischen und kulturellen Raumes „Osteuropa“ und nichthierarchischer transkultureller Ansätze gelöst werden. Eine kritische Kunstgeschichte der verschiedenen Länder Osteuropas in ihrem jeweils divergierenden Kontext muss erst noch geschrieben werden.

Meine Abschlussarbeit im Fach Kunstgeschichte beschäftigt sich mit den künstlerischen Entwicklungen in Polen der 1990er Jahre, die als gesellschaftliche Umbruchsphase charakterisiert werden können. Auffallend ist, dass sich in dieser Zeit viele Künstler mit dem Körper auseinandersetzen. Anhand exemplarischer Werke von Katarzyna Kozyra, Katarzyna Górna und Artur Żmijewski wird nach der jeweiligen fotografischen Inszenierung des Körpers und dem Zusammenspiel der beiden Medien Fotografie und Körper gefragt. Um die Interferenzen zwischen der Kunst und der gesellschaftspolitischen Situation in Polen analysieren zu können, wird die Kunstströmung zunächst historisch kontextualisiert. Aufgrund des gemeinsamen Studiums der ausgewählten Künstler an der Akademie der Bildenden Künste in Warschau unter Grzegorz Kowalski schließt sich eine nähere Betrachtung seiner Lehrmethode an, um diese hinsichtlich möglicher Einflussnahmen auf inhaltliche und formale Werkaspekte der vorgestellten Arbeiten zu untersuchen. Der Auseinandersetzung mit den Inszenierungen des Körpers in der polnischen Fotografie der 1990er Jahre geht eine Annäherung an den zentralen Begriff der Inszenierung innerhalb des fototheoretischen Diskurses sowie eine Darstellung grundlegender Aspekte des Körpers als (foto)künstlerisches Medium voraus.

In den 1970er Jahren zeichnet sich in der fotokünstlerischen Praxis ein Paradigmenwechsel ab. Während die in der Moderne vorherrschenden fotografischen Umsetzungen dem Prinzip der möglichst getreuen und unverfälschten Wiedergabe eines Realitätsausschnittes folgten, zeichnet sich die postmoderne Fotopraxis durch eine deutliche Negation dieser Produktionsprinzipien aus. Ausgangspunkt der Fotografien ist nunmehr eine Bildidee, die für das fotografische Abbild konstruiert und arrangiert wird.

Die Nähe zwischen der Identitäts- und Körperproblematik macht den Körper seit den 1960er Jahren zu einem bevorzugten Medium der künstlerischen Beschäftigung mit gesellschaftlichen und das Individuum betreffenden Problematiken. Ausgehend von dem Gedanken eines kulturell kodierten und gesellschaftlich geprägten Körpers sowie den damit verbundenen Körperbildern zielen viele Künstler auf eine Bewusstmachung dieser sozial etablierten Art der Sicht auf den Körper und seinen gesellschaftlichen Rollenausprägungen. Das neue Bewusstsein für den Körper ist somit eng verbunden mit einer Politisierung des Privaten, wie es sich in der sexuellen Revolution der 68er Generation und insbesondere der feministischen Bewegung zeigt. In den osteuropäischen Staaten zeigt sich dieses Handlungspotential aufgrund der politischen Situation eingeschränkter. Es hat keine sexuelle Revolution in dieser Zeit gegeben.  Künstler, die durch die Ausstellung ihres eigenen Körpers ihre Autonomie und Individualität betonten, berührten die politische Sphäre in einem gesellschaftlichen System, das sich wesentlich auf der Idee des ›kollektiven Körpers‹ gründete. Somit war diese Art der künstlerischen Arbeit durch ein erhöhtes Risiko politischer Restriktionen gekennzeichnet. Der Feminismus westlicher Prägung hat zwar einen Nachhall in den Ländern Ostmitteleuropas gefunden, blieb jedoch ohne Nachhaltigkeit. Besonders in Polen bildete der große Einfluss der katholischen Kirche und die tiefe Verankerung des katholischen Glaubens in der nationalen Tradition einen zusätzlich restriktiv wirkenden Faktor.

Innerhalb der verschiedenen Strömungen der polnischen Kunst in den 1990er Jahren erregte die so genannte ›sztuka krytyczna‹ nicht zuletzt durch von den Medien angeheizte Skandale ein großes öffentliches Interesse. Durch die Beschäftigung der Künstler mit öffentlich marginalisierten Themen entstanden Werke, für die der Tabubruch kennzeichnend ist. Die Skandalisierung und die daraus resultierende Zensur einiger Kunstwerke erschienen in dieser Zeit als Spiegel traditionell-gesellschaftlicher Wertvorstellungen, die in Polen eng mit dem katholischen Glauben verbunden waren. Die entstehende Polarisierung zwischen Befürwortern und Gegnern der kontrovers diskutierten Werke führte zu einer starken Politisierung der Diskurse, die zunehmend ideologisch geprägt waren, und verhinderte so eine breitere kunstwissenschaftliche Auseinandersetzung. Die Diskussionen in Polen kreisten vor allem um die Frage nach dem Status des Künstlers und die Rolle der Kunst in der polnischen Gesellschaft. Dabei ist vielfach auf die polnische Geschichte rekurriert worden, wie die positive Bewertung der Kunst der 1980er Jahre im Vergleich zu der der 1990er Jahre zeigt. Die in den 1990er Jahren entstehende demokratische Ordnung geht mit einer Veränderung des Künstlerbildes einher. Wie in den 1980er Jahren werden gesellschaftliche Missstände thematisiert, allerdings verstehen sich die Künstler der 1990er Jahre als individuelle Kritiker patriotisch geprägter Kunstdefinitionen.

Als Fazit der Werkanalysen wird deutlich, dass die vorgestellten fotografischen Arbeiten von Katarzyna Kozyra, Katarzyna Górna und Artur Żmijewski stark vom Einfluss ihres Lehrers geprägt sind. Das Medium der Fotografie nutzen sie zur Erzeugung einer unmittelbaren Repräsenz des Körpers, um ihn als authentisch ins Bild zu setzen und ihm dadurch eine hohe Wirkungsfähigkeit zu verleihen. Medienreflektorische oder medienkritische Aspekte finden dabei keine Berücksichtigung. Somit sind die Fotografien eher in der Folge der in den 1970er Jahren vorherrschenden Darstellung des Körpers als Medium zur Veranschaulichung seiner gesellschaftlichen Determination zu sehen denn als Stellungnahme zum postmodernen Diskurs über den Status des fotografischen Bildes und des menschlichen Körpers. Das lässt sich mit der speziellen gesellschaftspolitischen Situation in Polen erklären. Im Unterschied zum westlichen Europa, wo in den 1970er Jahren die Frage nach Geschlechterkonstruktionen und gesellschaftlichen Körperbildern aufkam, sind diese Diskurse in Polen erst im Zuge des Demokratisierungsprozesses der 1990er Jahre und den damit verbundenen Identitätsfragen aufgetreten. Hierbei ist es wichtig entgegen der Ansichten einer „westlichen Kolonisation des Ostens“ diese künstlerischen Entwicklungen als eigenständigen Prozess zu bewerten.