Sonderfonds Östliches Europa
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Begrüßungsrede Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Roth

Verleihung des Georg R. Schroubek Dissertationspreises 2011

am 24. März 2011 im Senatssaal der Ludwig-Maximilians-Universität München

 

 

Hohe Festversammlung!

 

Wenn Georg Schroubek, zusammen mit seiner Frau Barbara der Stifter des “Schroubek-Fonds Östliches Europa”, von Prag sprach, dann war stets ein ganz bestimmter sanfter Ton in seiner Stimme. Prag, das war die Stadt, in der er 1922 als Kind einer Prager deutschen Familie zur Welt gekommen war, einer Familie, die aus allen Teilen des Habsburger Reiches an die Moldau gezogen war. Prag, das war seine unvergessene Heimatstadt, die Stadt seiner Kindheit und Jugend, in der er – in der Zwischenkriegszeit – Erfahrungen machen konnte vom Zusammenleben von Tschechen, Deutschen und Juden, Erfahrungen, die sein ganzes weiteres Leben prägten. Prag, das war die Stadt, der er dann in München als Volkskundler auch wissenschaftlich verbunden blieb, etwa mit einer wunderbaren Studie über “Beletage und Hinterhof” eines multiethnischen Bürgerhauses im Prager Stadtteil Smichov.

 

Es ist ein wunderbarer Zufall, dass die ersten beiden Dissertationen, die vom Kuratorium des Schroubek-Fonds ausgezeichnet wurden, sich eben diesem Prag zugewandt haben. Waren es in der 2009 ausgezeichneten Arbeit von Marketa Spiritova jene Prager Intellektuellen, die unter der “Normalisierungs”-Politik des kommunistischen Regimes nach 1969 schwer zu leiden hatten, so zeichnen wir heute eine herausragende Arbeit aus, die sich dem Prag der Zwischenkriegszeit, also dem Prag der Kindheit und Jugend Georg Schroubeks zuwendet. Mit dem nüchtern-analytischen Blick der Historikerin, die die Quellen aus jener Zeit kritisch abwägt und zum Sprechen bringt, hat Ines Koeltzsch ein um¬fassendes und beeindruckendes Bild des alltäglichen Zusammen- und Nebeneinanderlebens von Tschechen, Deutschen und Juden gezeichnet. Es ist ein Bild, das sowohl jene romantische Überhöhung korrigiert, die das Prag des frühen 20. Jahrhunderts als ein unbeschwert-friedliches Multikulti zeichnet, als auch der Meinung widerspricht, das Zusammen¬leben sei von Unverträglichkeit und Hass geprägt gewesen. Die Arbeit zeichnet vielmehr das Bild eines komplexen, vielschichtigen, aber funktionierenden gemeinsamen Alltags der Ethnien, Sprachen und Religionen im umgrenzten Raum einer Stadt. Es ist ein Bild und eine Arbeit, die Georg Schroubek ohne jeden Zweifel begeistert hätten.

 

Die Dissertation bearbeitet, und darin liegt ein weiterer Gewinn, in luzider Form ein historisches Thema, das über die Geschichte hinaus Aussagekraft auch für unsere plurikulturelle Gegenwart hat. Es ist der über Wunschdenken und Mythen hinausgehende Blick auf das konkrete Alltagshandeln zwischen Menschen verschiedener Religion, Sprache und Ethnizität, der uns vielleicht auch helfen kann, die heutigen Probleme des interkulturellen Zusammenlebens in Europa besser einzuordnen – und zu fragen: Welches waren denn die Regeln des Zusammenlebens im damaligen Prag, bevor nationalistische Hysterien ihm ein Ende bereiteten?

 

Georg Schroubek, dem von seinen Studenten und Kollegen gleichermaßen geschätzten und geliebten langjährigen Mitarbeiter unseres Münchner Volkskunde-Instituts, ging es in seinem ganzen Leben und wissenschaftlichen Tun um eben diese Fragen. Etwa darum, wie ein solches Zusammenleben bewirkt und Hindernisse, besonders die Vorurteile über die “Anderen”, überwunden werden können. Eine wesentliche Grundlage dafür war für ihn das Wissen übereinander, insbesondere das Wissen der Menschen im “Westen” über die Menschen im “Osten”. Seine Erfahrung war, dass jene im Westen erschreckend wenig wissen über die östliche Hälfte Europas, dass für sehr viele die Welt immer noch an jener Grenze aufhört, die für Jahrzehnte “West” und “Ost” eisern trennte. Auch der Fall des Eisernen Vorhangs und die Öffnung der Grenzen habe an diesem Unwissen über das östliche Europa wenig verändert, selbst unter den Gebildeten. Unwissen aber bestärke negative “Bilder in den Köpfen” – und so war es für ihn nur konsequent, dass er den 2007 gestifteten Fonds “Östliches Europa. Erkundungen und Annäherungen” ganz in den Dienst der Aufgabe stellte, diesem Mangel an Wissen vor allem über die slawische Welt gezielt entgegenzuwirken.

 

Das breite Programm des Fonds umfasst daher konsequenterweise die Förderung von Sprachkursen und Workshops, von Studien- und Forschungsstipendien, von Dozentenaustausch und Gastvorträgen, von Tagungen, Ausstellungen und Publikationen. Und es umfasst, das ist besonders wichtig, die Verleihung von Preisen für herausragende Abschlussarbeiten, die den von Georg Schroubek definierten Zielen in besonderer Weise entsprechen.

 

Der Schroubek-Fonds hat 2008 seine Tätigkeit voll aufgenommen und sich inzwischen in der “Wissenschaftslandschaft” gut etabliert. Mit der heutigen Feier stellt sich der Fonds erneut der Öffentlichkeit vor. Mit dem Wunsch, dass diese feierliche Verleihung des Schroubek-Preises das Anliegen der Stifter fördern möge, verbinde ich den Dank an alle, die zu dieser Feier beitragen – an die LMU München, vertreten durch Dekan Klaus Vollmer, an die Betreuerin des Dissertation, Frau Prof. Gertrud Pickhan, an die beiden Musikerinnen Ingrid von Heimendahl und Elitza Werner, vor allem aber an den Festredner, den ehemaligen Direktor des Wiener Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Prof. Moritz Csáky, und unsere Preisträgerin, Dr. Ines Koeltzsch, die derzeit an der New York University in Prag lehrt.

 

Ich bin sicher, dass die Reden der beiden Letztgenannten – über Laudatio und Dank hinaus – Grundsätzliches beitragen werden zu der Frage, ob und wie das Zusammenleben der Völker und Religionen in “Zentraleuropa” möglich war und ist – und was es mit diesem “Zentraleuropa” auf sich hat. Es ist ein Verdienst von Georg Schroubek, durch seinen Dissertationspreis zum Nachdenken über unsere gemeinsame europäische Geschichte und Gegenwart beizutragen. Ihm und seiner Frau, die auf dem Münchner Nordfriedhof ihre gemeinsame Ruhestätte gefunden haben, sei daher ganz besonderer Dank gezollt.

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Roth

Vorsitzender des Schroubek-Fonds

Institut für Volkskunde/Europäische Ethnologie

Ludwig-Maximilians-Universität München