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Laudatio für Martina Niedhammer: Dr. Miriam Zadoff und Prof. Dr. Michael Brenner

Dr. Miriam Zadoff und Prof. Dr. Michael Brenner, LMU München

Laudatio zur Verleihung des Georg R. Schroubek Dissertationspreises an Martina Niedhammer.

Martina Niedhammer: Nur eine „Geld-Emancipation“? Loyalitäten und Lebenswelten des Prager jüdischen Großbürgertums 1800-1867

Liebe Preisträgerinnen, meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute Abend im Rahmen der Preisverleihung an Martina Niedhammer in Vertretung Ihres Doktorvaters, Michael Brenner, die Laudatio zu sprechen. Und es ist mir eine ganz besondere Freude, da ich die Preisträgerin seit meiner allerersten Lehrveranstaltung an der LMU -vor zehn Jahren- kenne und sehr schätze.

Nur eine „Geld-Emancipation“? Loyalitäten und Lebenswelten des Prager jüdischen Großbürgertums 1800-1867 - so lautet der Titel der Dissertationsschrift und des kurz darauf erschienen Buches von Martina Niedhammer. Auf dem Umschlag der Publikation ist das Foto einer nicht mehr jungen Frau abgedruckt; die etwas verschwommene Aufnahme stammt aus der Frühphase der Fotographie, wahrscheinlich aus den 1860er Jahren. Die abgebildete Frau ist wohlhabend - sie konnte es sich leisten, fotografiert zu werden, und auch ihre Kleider zeugen davon: schwarze Seide, Krinoline, ein reich bestickter Schal. Das Kleid ist hochgeschlossen und ihr Haar ist bedeckt von einer, für Porträts der Zeit etwas ungewöhnlich anmutenden, mit Bändern verzierten Haube. Das Foto zeigt Marie Przibram, geb. Dormitzer, die etwa dreißig Jahre zuvor mit Salomon Przibram verheiratet worden war. Die Mitgift betrug damals die stolze Summe von 60.000 Gulden, beide Ehepartner gehörten einer kleinen Elite von wenigen jüdischen Familien an, die einerseits in das Milieu des Prager Großbürgertums integriert waren, andererseits religiösen jüdischen Traditionalismus verkörperten. So war die abgebildete Marie Przibram modisch auf der Höhe der Zeit gekleidet, entsprach zugleich aber auch allen Vorgaben der Schicklichkeit, die an eine verheiratete Jüdin gemacht wurden.

In ihrem Buch leistet Martina Niedhammer wissenschaftliche Pionierarbeit, indem sie aus einer Vielzahl von bislang unbearbeiteten Quellen die Geschichte und das Milieu der Prager jüdischen Elite, genauer der fünf Familien Dormitzer, Jerusalem, Przibram, Lämel und Porges erzählt. Die Prager jüdische Geschichte wurde von der Forschung bislang vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Blick genommen, nicht aber in den fünfzig Jahren davor. Martina Niedhammers Buch schließt hier eine bedeutende Forschungslücke, indem sie die Besonderheiten des Prager jüdischen Großbürgertums profiliert, dessen wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung ausarbeitet und seinen vielfältigen Vernetzungen nach Berlin, Paris oder Wien folgt.

Über das theoretische Konzept der ‚Loyalitäten’ arbeitet die Autorin vielfältige Verbindungen und Netzwerke wirtschaftlicher, freundschaftlicher und familialer Natur aus und verortet sie innerhalb der Stadt Prag. Sie nähert sich der Geschichte der fünf Familien über deren gesellschaftliche Integration, ihr religiöses Selbstverständnis, die weiterhin bestehenden rechtlichen und gesellschaftlichen Schranken, mit denen sie zu kämpfen hatten, oder das traditionelle Konzept der Schtadlanut (der politischen Fürsprache in jüdischen Belangen). Sie kommt dabei zu so paradoxen Ergebnissen, wie etwa dem Umstand, dass erfolgreiche jüdische Unternehmer im habsburgischen Prag zwar geadelt werden konnten, aber zugleich als Juden bis 1867 keine staats- und bürgerrechtliche Gleichstellung erhielten: der Adelstitel als Trostpreis für jene Juden, deren Leben sich nahe der Krone abspielte, aber doch im limitierten Raum jüdischer Existenz des frühen 19. Jahrhunderts.

Man könnte diese Biographie von fünf Familien als die äußerst gelungene wissenschaftliche Version eines Romans bezeichnen, der in den vergangenen Jahren Furore gemacht hat: Der Keramiker Edmund de Waal erzählt in „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ die Geschichte seiner Familie, die dem jüdischen Großbürgertum in Paris und Wien angehörte. Vergleichbar mit seinem Buch ähnelt auch Martina Niedhammers Schrift einem sorgfältig komponierten Bild, das einerseits den Blick weitet und die komplexen Verflechtungen und Loyalitäten der Familien in Wirtschaft und Politik analysiert, andererseits die kleinsten Details ihres großbürgerlichen Alltags fokussiert und so anschaulich beschreibt, dass sie vor dem inneren Auge mit erstaunlicher Klarheit sichtbar werden: vom moderat reformierten religiösen Leben, über Wohnkultur und Freizeitvergnügen, bis hin zu gekonnten Heiratsstrategien; selbst die Trauerkultur wird nicht ausgelassen.

Gekonnt führt sie den Leser/die Leserin durch das Prag der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, indem sie jedes thematische Kapitel einem städtischen Raum oder einem repräsentativen Gebäude zuordnet: So lernen wir die Textilfabriken auf der Jerusaleminsel kennen, besuchen den auf einer Insel in der Moldau gelegenen Sophiensaal, den Synagogentempel in der Geistgasse, die k.u.k. vereinigte Hofkanzlei und das Lustschlösschen Dientzenhofer Palais. Im letzten Kapitel führt uns die Autorin an den emotionalen Fluchtpunkt Jerusalem, indem sie eine Stiftung beschreibt, die zum Erstaunen der Zeitgenossen von einer alleinstehenden Frau eingerichtet wurde, um die verarmten jüdischen Gemeinden in Palästina zu unterstützen - und das lange bevor es ein politisch-zionistisches Interesse an der Region gab.

Der Blick auf die starken und interessanten Frauen in dieser Geschichte ist ein weiterer Vorzug dieses elegant geschrieben und spannend zu lesenden Buches, dessen Lektüre ich Ihnen allen nur empfehlen kann. In diesem Sinn gratuliere ich der Autorin herzlich zu Ihrer wohlverdienten Auszeichnung!