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Trauerrede Dr. Georg R. Schroubek von Dr. Robert Luft

Sehr verehrte, liebe Frau Schroubek, liebe Trauernde!

In einem Interview, das Georg R. Schroubek im Jahr 2002 gab, sprach er selbst von der Notwendigkeit einer „eingehenderen Verständigung in beiden Bedeutun-gen des Wortes“.1 Er formulierte damit eine Grundlinie seines Denkens, seines akademischen Schaffens und seines persönlichen wie gesellschaftlichen Wirkens. Er meinte damit: mit Verstand miteinander reden, sich gegenseitig verstehen, sich um einen Ausgleich der Standpunkte bemühen, für einander Verständnis aufbringen, um so gemeinsam zu tieferer Erkenntnis zu gelangen.

Der Verstorbenen ist uns wohl vertraut als vornehmer, außerordentlich bescheidener, hoch gebildeter und im feinsinnigen Witz durchaus auch sehr kriti-scher, vor allem aber als liebenswerter Mensch. Wir trauern um ihn und gedenken seiner. Für mich, wie für manch anderen, lebte in ihm stets etwas von der verständnisoffenen, übernationalen altösterreichischen Kultur weiter. Einer Welt, die ihm, auch wenn er bereits in die Ersten Tschechoslowakischen Republik hin-eingeboren wurde, noch vertraut war, eine Welt, die Jüngeren heute kaum noch erfühlbar ist.

Der Ethnologe Schroubek, ihm war die Bezeichnung Volkskundler geläufiger, war nicht zuletzt aufgrund seiner sozialen und regionalen Herkunft immer auch Historiker. So wie er stets die Wechselwirkungen zwischen deutscher und tschechischer Ethnologie im Blick hatte, so bewegte er sich auch zwischen den Fächern. Er bereicherte die deutsche Geschichtswissenschaft, insbesondere den Teil, der sich mit der Geschichte der böhmischen Länder befasst, um volkskundliche Perspektiven und um eine Fachgeschichte der deutschen und tschechischen Volkskunde im Bereich der heutigen Tschechischen Republik.

Sein konsequentes historisch-gesellschaftliches Denken und seine noch heute sehr anregenden und gut lesbaren Beiträge waren daher auch mehreren geschichtswissenschaftlicher Einrichtungen wohlbegründeter Anlass, ihn, der unter anderem bei Karl Bosl in München Neuere Geschichte studiert hatte, als Mitglied aufzunehmen: dies gilt insbesondere für die Historische Kommission für die böhmischen Länder http://www.collegium-carolinum.de/hkbl/ und für das Collegium Carolinum in München.

Hier und jetzt sind nicht Ort und Zeit, um den Wissenschaftler Georg Schroubek im Einzelnen zu würdigen. Hervorhebenswert scheint mir jedoch, dass ihm das, was „Zwischen etwas“ liegt, stets Thema war. So wie er zwischen Religionswissenschaft und Volkskunde, zwischen Soziologie, Ethnologie und Geschichtswissenschaft Brücken schlug, Verbindungen schuf, so waren ihm stets die Zwischentöne und Zwischenelemente, die Verbindungselemente wichtig. Sein Forschen galt Positionen zwischen Denkmustern, Nationalitäten und Religionen. Da-mit bewegte er sich häufig – und durchaus sehr bewusst – am Rande dessen, was jeweils gerade modern war und was Aufmerksamkeit fand. Um so mehr ist vieles von dem, was er publizierte, heute noch aktuell, lesens- und nachdenkenswert. Auf den gerade erschienenen Band seiner Aufsätze wurde schon verwiesen.2

Georg Schroubek thematisierte in seiner unnachahmlichen Art des rational-logischen, argumentativen Erzählens gerne die vielschichtige Prager Gesellschaft, der er entstammte. Dem Bild des nationalen Antagonismus von Deutschen und Tschechen setzte er früh eine Perspektive des übernationalen Zusammenlebens gegenüber. Der Blick für Alltagskultur und -geschichte führte ihn dabei von der ländlichen Bevölkerung auf unterbürgerlichen und insbesondere auf die bürgerlichen Schichten und zu einer Ethnologie der Vertriebenen nach 1945, lange bevor dies alles zu Modethemen der Fachwissenschaften wurde. Besonders widmete er sich dem deutsch-tschechischen und christlich-jüdischen Verhältnis und beschäftigte sich mit Stereotypen, Selbstbildern und Vorurteilen.

Schon früh hat Georg Schroubek dabei nicht nur im wissenschaftlichen Be-reich unbequeme Wahrheiten ausgesprochen: stets deutlich, aber ohne jede Aggressivität, ja ohne dabei besonders laut zu werden. Vieles davon wurde über-hört – oder erst später, erst in jüngster Vergangenheit der letzten 10 bis 15 Jahre gehört. Dazu gehören seine Kritik an der Tschechenfeindschaft vieler seiner Landsleute vor 1938 und nach 1945, sein Plädoyer für eine verantwortungsbewusste Aufarbeitung der deutschen, insbesondere der deutschböhmischen Ge-schichte in der nationalsozialistischen Zeit, sein Aufruf, zu Traditionen, die aus den 1930er Jahren kommen, klar und offen Stellung zu beziehen. Der Verstorbene offenbarte darin ein christliches, ein verantwortungsvoll reflektiertes und sehr bewusstes humanistisches Verständnis des Menschseins, sein persönliches bürgerschaftliches Selbstverständnis. Modern würde man sagen: sein „zivilgesellschaftliches Engagement“.

Dies führt zu einem Teil der Persönlichkeit von Georg R. Schroubek, der an dieser Stelle nicht ungenannt bleiben kann. Zusammen mit seiner Frau ist er im vergangenen Jahrzehnt zu einem Förderer und Stifter für Historiker und Ethnologen geworden. Er wurde zu einem Mäzen für Einrichtungen, die sich mit der tschechischen und deutschböhmischen Geschichte und mit europäischer Ethnologie befassen, allgemein für vergleichende Forschungen im mitteleuropäischen, ja im europäischen Kontext.

Wissenschaft, insbesondere Geisteswissenschaften, durch private Stiftung zu fördern, ist in Deutschland außergewöhnlich. Um so mehr ist es den ausgewählten Einrichtungen eine besondere Ehre, bereits zu Lebzeiten von ihm mit sehr beachtlichen finanziellen Mitteln bedacht worden zu sein, um – wie er es ausdrücklich formulierte – die „Streitfragen der jüngsten böhmischen Geschichte“ aufzuarbeiten und um jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu un-terstützen.

Als Historiker darf ich an dieser Stelle insbesondere für drei wissenschaftliche Einrichtungen Dank sagen, für die ich die Ehre habe, hier sprechen zu dürfen:

  1. für die Historische Kommission für die böhmischen Länder, gegründet in Hei-delberg, heute ebenfalls in München beheimatet. Seit 1988 war er ihr korrespondierendes Mitglied, seit 1993 ordentliches und zudem seit 2006 unser Ehrenmitglied.
  2. für das Collegium Carolinum, die Forschungsstelle für die böhmischen Länder, in München, dessen Trägerverein er seit 1981 angehörte,
  3. für die Deutsch-Tschechische und Deutsch-Slowakische Historikerkommission, deren Tätigkeit er seit dem Entstehen 1990 mit Interesse verfolgte.

Damit ermöglichte er seit einigen Jahren – und auch künftig – jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland und in den benachbarten Staaten Ostmitteleuropas, was ihm selbst nicht vergönnt war: nämlich ohne materielle Nöte und ohne einem Brotberuf nachzugehen, zu studieren und in jungen Jahren erste wissenschaftliche Arbeiten zu publizieren. In dem eingangs genannten Interview machte der Verstorbene deutlich, dass er sich im deutsch-tschechischen Verhältnis von „Offiziellen“ und von Politikern nur wenig erhoffe, „desto mehr von jungen Leuten, Studenten und Jungakademikern, die hüben und drüben in besonnener Weise Stereotype demontieren und zwar bevorzugt Auto-stereotype der eigenen Seite“.3

Seine Stiftungen tragen dazu bereits bei, und sie werden dies über die Jahre hinweg nachhaltig tun. Die oben genannten drei historischen Institutionen sehen die Förderung junger Forschender als eine ihre Zielsetzungen und sie werden sich im Sinne des Verstorbenen weiterhin mit Nachdruck der deutsch-tschechischen Verständigung und der Förderung von jungen Wissenschaftlern widmen.

Wir alle danken Georg Schroubek für sein Werk sowie für sein Bemühen um Erkenntnis und um Verständigung. Wir werden dieses Vermächtnis dauerhaft in Angedenken und in Ehren halten.


1 Schroubek, Georg R.: Prag und noch einmal Prag. In: Stifter Jahrbuch 16 (2002) S. 28-63, hier S. 40.

2 Schroubek, Georg R.: Studien zur böhmischen Volkskunde. Hrsg. und eingeleitet von Petr Lozoviuk. Münster, München [u.a.]: Waxmann Verlag 2008, 237 S. (Münchner Beiträge zur Volkskunde, Band 36).

3 Ebenda S. 63.