Sonderfonds Östliches Europa
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Asta Vonderau: Leben im "Neuen Europa" (Publikation)

Asta Vonderau: Leben im „Neuen Europa“.

Konsum, Lebensstile und Körpertechniken im Postsozialismus

Leben im „Neuen Europa“. Konsum, Lebensstile und Körpertechniken im Postsozialismus ist eine ethnographische Studie, die auf Interviews, teilnehmender Beobachtung und der Auswertung öffentlich-medialer Diskurse basiert und einen wichtigen Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Europäisierungs- und (Post-)Sozialismusforschung sowie zur Erforschung von Eliten-, Konsum- und Lebensstilen leistet. Am Beispiel der litauischen Gesellschaft analysiert Asta Vonderau den Wandel kultureller Vorstellungen vom ‚guten Leben’, der im Zuge der postsozialistischen Transformationsprozesse und der europäischen Integration osteuropäischer Gesellschaften beobachtbar wurde. Welche Konzeptionen von individuellem Erfolg und gutem Leben werden in der Öffentlichkeit der neuen europäischen Länder diskutiert? Welche Bilder von Europa und Europäern dominieren? Wie werden individuelle Lebensentwürfe und Biographien im Spannungsfeld zwischen öffentlichen Europabildern und lokalen sozialen Realitäten umstrukturiert und neu entworfen? Was bedeuten in diesem sozialen Kontext Gleichheit und Differenz, Gemeinschaft und Individualität? Welche neue Machtlogiken und Mechanismen sozialer Differenzierung werden im Rahmen dieser Aushandlungen sichtbar?

Besonderes Augenmerk gilt dabei einer bestimmten sozialen Gruppe, die in den medialen Öffentlichkeiten als ‚neue Elite’ adressiert wird. Die Vertreter dieser Gruppe stehen als erfolgreiche Europäer und als Vorbilder einer gelungenen Transformation vom homo sovieticus zum homo europaeus, vom sozialistischen zum modernen Individuum, im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Vonderau analysiert die biographischen Selbstdarstellungsweisen der ‚neuen Elite’, beschreibt aber auch symbolische Repräsentationsstrategien ihres sozialen Status, wie sie in einer bestimmten Körperlichkeit, in Geschmack und Lebensstil ihren Ausdruck finden. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie es diesen sozialen Akteuren gelingt, ihren privilegierten sozialen Status durch gesellschaftliche Brüche und Transformationen hinweg beizubehalten und zu reproduzieren.

Vonderau zufolge werden durch die Strukturen des freien Marktes neue Machtmechanismen und Regierungsformen etabliert, die die Umgestaltung individueller Lebensentwürfe und das Umdeuten von Biographien in Gang setzten: in Abgrenzung zur sozialistischen Vergangenheit, in Bezug auf Machtlogiken des neoliberalen Kapitalismus und im Rahmen dominanter europaorientierter politischer Ideologien. Dabei wird die Transformation des individuellen Lebens und der eigenen sozialen Rolle im Alltag vor allem durch neue Körpertechniken, Konsumpraxen und Lebensstile materialisiert und zum Ausdruck gebracht. Vonderau beobachtet eine Diskrepanz zwischen den verbreiteten Erfolgsmodellen, die nicht zuletzt großen Aufwand an materiellem und symbolischem Kapital erfordern, und der alltäglichen Realität vieler sozialer Akteure, die über keine Möglichkeiten verfügen, diese Modelle zu realisieren. Auf diese Weise bleibt der Status des ‚erfolgreichen Europäers’ vor allem den wohlhabenden Eliten vorbehalten; es entstehen Formen neuen Reichtums und neuer Armut.

 

Dr. Asta Vonderau studierte Europäische Ethnologie und Skandinavistik in Vilnius, Kopenhagen und Berlin. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Projektkoordinatorin im Internationalen Qualitätsnetzwerk Ostsee-Kolleg Berlin am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie war Stipendiatin der Heinrich-Böll Stiftung und hat ihre Promotion zum Thema dieses Buches 2008 abgeschlossen. Gegenwärtig arbeitet Vonderau als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: postsozialistische Transformationen in (Ost-)Europa, kulturelle Logiken des Marktes, Migration, ethnologische Europa- und Europäisierungsforschung sowie Forschung in Machtfeldern (Elitenforschung). Zu ihren Publikationen zählen unter anderem Geographie sozialer Beziehungen. Ortserfahrungen in der mobilen Welt (Münster: LIT-Verlag, 2003); die Sammelbände Changing Economies, Changing Identities in Postsocialist Eastern Europe (Münster: LIT-Verlag 2008, mit #I. Schröder#) und Turn to Europe. Kulturanthropologische Europaforschungen (Münster: LIT-Verlag 2006, mit K. Poehls), sowie zahlreiche Aufsätze, darunter „Enterprising self. Neue soziale Differenzierung und kulturelle Selbstdeutung der Wirtschaftseliten in Litauen“, in: Friederike Sattler, Christoph Boyer (Hg.), European Economic Elites. Between a New Spirit of Capitalism and the Erosion of State Socialism (Berlin: Duncker & Humboldt 2009, S. 449-469), „Yet Another Europe? Constructing and Representing Indentities in Lithuania Two Years after the EU Accession“, in: Tsypylma Darieva, Wolfgang Kaschuba (Hg.), Representations on the Margins of Europe. Politics and Indentities in the Baltic and South Caucasian States (Frankfurt/New York: Campus 2007, S. 220-241).