Sonderfonds Östliches Europa
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Elisabeth Luggauer: Beziehungen zwischen Menschen und (streunenden) Hunden. Eine Ethnografie in südosteuropäischen (Forschungs-)Feldern (Dissertationsprojekt)

Bericht an den Schroubek Fonds Östliches Europa über die Verwendung des Leopold-Kretzenbacher-Dissertationsstipendiums (Januar 2016 – November 2016)
09. 12. 2016

Beziehungen zwischen Menschen und (streunenden) Hunden. Eine Ethnografie in südosteuropäischen (Forschungs-)Feldern

Elisabeth Luggauer

Seit Januar 2016 bekomme ich das Leopold Kretzenbacher-Dissertationsstipendium für mein Dissertationsprojekt zu Beziehungen zwischen Menschen und (streunenden) Hunden in der städtischen Kultur Podgoricas (MNE). Podgorica als urbaner Raum ist dabei konzeptionalisiert als lived space (Henri Lefebvre). Urbane Räume als lived spaces werden von den menschlichen und nichtmenschlichen Akteur_innen die sie bewohnen, in wechselseitig gerichteten Handlungspraktiken (multispecies relations) konstruiert. Das Forschungsziel besteht nun zunächst darin, herauszuarbeiten wie nun die Beziehungen der menschlichen zu nichtmenschlichen Akteur_innen die städtische Kultur Podgoricas als shared lived space in alltäglichen Ausverhandlungspraktiken gestalten. Die Forschung zeigte bisher, dass die hier untersuchten Beziehungsverhältnisse gegenwärtig von postsozialistischen, Transformationsprozessen in Richtung und in Ablehnung eines komplexen Bildes von „Europa“ geprägt sind. Das weitere Ziel dieses Dissertationsprojektes ist daher, herauszuarbeiten, wie sich diese kulturellen Transformationsprozesse in alltagskulturellen Praktiken eines „doing Europe“ niederschlagen.
Die Monate von Februar bis September 2016 verbrachte ich zur Feldforschung in Podgorica. Meinem methodischen Zugang der multi-sited ethnography und der von Rolf Lindner geprägten Kulturanalyse entsprechend, folgte ich jedoch dem Feld und den „Spuren”, Geschichten, Biografien, etc. der Akteur_innen auch in andere Gegenden des Landes Montenegro, wie auch über dessen Grenzen hinaus, mit dem Ziel, die Besonderheiten der urbanen Kultur in Podgorica, die Eigenheiten der Urbanität Podgoricas, besser verstehen zu können. Mit zunehmender Zeit in Podgorica verdichtete sich das Feld, bzw. präzisierte sich mein Zugang zum Feld. Im Rahmen ausgedehnter Wahrnehmungsspaziergänge und teilnehmender Beobachtungen kristallisierten sich Akteur_innen mit besonderen Bedeutungen und Funktionen im Feld heraus, die für qualitative Interviews gewonnen werden konnten. Gezielte Interviewanfragen stellte ich an zwei Behörden, die mit öffentlicher Sauberkeit und dem politischen Management der streunenden Hunde betraut sind, wie auch an die Delegation der Europäischen Union in Montenegro. Insgesamt führte ich bisher Interviews mit zwölf Personen, die dem Typ des problemzentrierten Interviews am nächsten kommen. Mit sechs dieser zwölf Personen konnten mehrere Interviews unterschiedlicher Länge und mit unterschiedlichen Schwerpunkten geführt werden. Während des gesamten Aufenthaltes in Podgorica, und schwerpunktmäßig nochmals zur Parlamentswahl in Montenegro am 16. Oktober 2016, legte ich ein teilweise analoges und teilweise digitales Medienarchiv, bestehend aus Berichterstattungen aus den Zeitungen Vijesti, Dnevne Novine, Kurir, Pobjeda und Dan sowie den Internetportalen Café del Montenegro, kolektiv und Volim Podgoricu, an.
Zwischen Menschen und streunenden Hunden, den ursprünglichen Hauptakteur_innentypen der Forschung, liegt noch ein weiterer Akteurstyp, der kućni pas oder vlasnički pas (Haushund oder Besitzerhund). Der Haushund oder Besitzerhund als Figur scheint ein Ergebnis von kulturellen Transformationsprozessen in der städtischen Kultur Podgoricas in den letzten Jahren zu sein. Gesprächspartner_innen berichten, dass bis vor etwa zwanzig Jahren Hunde, in städtischem wie auch ländlichem Umfeld, nahezu ausschließlich zu Zwecken wie Bewachen, Jagen oder Hüten gehalten wurden. Die Haltung von „Luxushunden” (Jutta Buchner-Fuhs), mit dem Zweck des Sozialpartners, Accessoires und auch Zuchttier wird als „Trend aus dem Westen bzw. Europa” beschrieben. Diesen „Trend” konnte ich deutlich mehr in städtischen, als in dörflichen oder ländlichen Räumen beobachten, besonders jedoch in Podgorica und nördlichen Küstenstädten, wie Budva und Kotor. Mit der steigenden Anzahl von Hunden, die mehr als „Haustier” denn als „Nutztier” betrachtet werden können, steigt auch der Wirtschaftssektor um die Hundehaltung. Parallel zur Anzahl der Kućni psima, oder vlasnički psima, sei, so die Wahrnehmung aller Informant_innen, auch die Anzahl streunender Hunde, auch besonders in städtischen Gebieten, angestiegen. Von verschiedensten Gesprächspartner_innen werden dafür folgende Gründe genannt: das Aussetzen von kućni/vlasnički psima bzw. deren Welpen, die durch die Annäherung an die Europäische Union neue Gesetzeslage, welche das Töten von Straßenhunden als Maßnahme des Populationsmanagements verbietet, ein fehlendes enges staatliches System, wie es im Sozialismus geherrscht hätte, und schließlich Kroatien, das anlässlich seines EU-Beitritts viele „seiner” streunenden Hunde in die Nachbarländer Bosnien/Herzegowina und Montenegro verbracht hätte.
Im Anschluss an die Feldforschung besuchte ich für sechs Wochen das Institut für Europäische Ethnologie der Universität Turku, wo ein Projekt zu Animal Agency in Human Society läuft, und ich neben sehr fruchtbarem Austausch auch mit der Auswertung und Interpretation meines Forschungsmaterials beginnen konnte.