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Tagung "Incorporating Coethnic Migrants - a Comparative Perspective", München (Juni 2009)

Internationale Konferenz: Incorporating Coethnic Migrants – a Comparative Perspective. Integration koethnischer Migranten – eine komparative Betrachtung (Juni 2009)

Organisatoren: Prof. Dr. Jasna Čapo Žmegač (Zagreb), Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Roth (München), Prof. Dr. Christian Voß (Berlin)

Sponsoren: Südosteuropa-Gesellschaft, Humboldt-Universität zu Berlin, Johann Gottfried Herder-Forschungsrat, Schroubek Fonds Östliches Europa

Vom 11. bis zum 13. Juni 2009 fand in den Räumen des Internationalen Begegnungszentrums in München die internationale Konferenz “Incorporating Coethnic Migrants – a Comparative Perspective. Integration koethnischer Migranten – eine komparative Betrachtung“ statt.  An der Schnittstelle von Diaspora-, Migrations- und Minderheitenstudien gelegen, untersuchte die Konferenz Bevölkerungsverschiebungen, die unter der Überschrift der „koethnischen Migration“ bzw. „ethnisch privilegierten Migration“ behandelt werden. Das Ziel der Konferenz war es, die Integration koethnischer Migranten in ihre vermeintlichen „ethnischen Heimatländer“ auf der Grundlage der bisherigen umfangreichen Forschungsarbeit länderübergreifend, in synchroner und diachroner Perspektive und mit interdisziplinärer Ausrichtung zu analysieren. Dieser Ansatz spiegelte sich zum einen in der fachlichen Zugehörigkeit der Referenten, die aus den Disziplinen Ethnologie, Kulturanthropologie, Sprachwissenschaft, Geschichte und Politologie vertreten waren, zum anderen in der thematischen Breite der Beiträge.

Jasna Čapo Žmegač (Zagreb) leitete die Veranstaltung mit einem Überblick zum Forschungsgegenstand ein und umriss die zentralen Fragestellungen: Wie verlief die Integration der koethnischen Migranten nach der Ansiedlung in ihren Einwanderungsländern im Vergleich zu anderen Migrantengruppen, nationalen Kontexten, Fallstudien und Zeiträumen, und welche Rolle spielten Sprache und „Kultur“ als Faktoren einer erfolgreichen bzw. erfolglosen Integration?

Das erste Panel griff sodann die Frage nach der „Integration“ auf. Ruth Mandel (London) verglich in ihrem Vortrag „Mediating Germanness: Cosmopolitan Challenges for Turks, Jews and Russians“ die Inklusions- und Exklusionserfahrungen dreier Migrantengruppen in Deutschland, Russlanddeutscher, russischer Juden und Türken, wobei sie transnationale Identitäten und Vorstellungen von „Heimat“ vor dem Hintergrund des stark exkludierenden deutschen Staatsbürgerschaftsrechts diskutierte. Mathias Beer (Tübingen) fokussierte unter dem Titel „Kleiner Unterschied – große Wirkung. Volksdeutsche aus Südosteuropa als Flüchtlinge und Vertriebene im Nachkriegsdeutschland“ den Stellenwert der „Herkunft“ bei der Erforschung von Integrationsprozessen. Die Berücksichtigung dieses Faktors in der Analyse, so Beer, ermögliche u.a., die jeweils spezifischen Erfahrungen und Prägungen der an der Eingliederung beteiligten Menschen einzubeziehen.

Das zweite Panel unter der Überschrift „Ambivalenzen“ eröffnete Jon Fox (Bristol) mit seinem Vortrag „The Ambivalent Homeland: Hungary as Homeland, Hungary as Destination Country“. Laut Fox vereinnahme der ungarische Nationalismus die ethnischen Ungarn außerhalb der Staatsgrenzen als vollwertige Mitglieder der ungarischen Nation. Andererseits entmutige die ungarische Migrationspolitik dieselben, tatsächlich nach Ungarn umzusiedeln, um die Vision einer größeren, deterritorialisierten Kulturnation aufrechtzuerhalten. Valentin Rauer (Konstanz) stellte in seinem Vortrag „Ambivalent Modes of Integration: Cultural Demarcations and Role Models of Turkish-German Adolescents“ die ersten Ergebnisse einer Studie vor, die sich auf Gruppendiskussionen mit türkisch-deutschen Jugendlichen an Berliner Schulen stützt. So seien es nicht religiöse oder nationale Identitäten, die im Zentrum ambivalenter Selbstbeschreibungen stünden, sondern familiäre Übergangsphasen und die integrative Bedeutung von Familie. Edvin Pezo (Regensburg) reflektierte unter der Überschrift  „(Un)Erwünschte Immigranten – Die Republik Türkei und die ‚koethnischen‘ Einwanderer aus Jugoslawien“ die türkische Migrationspolitik gegenüber den annähernd 200.000 Muslimen aus den südlichen Landesteilen Jugoslawiens, die zwischen 1918 und 1958 in die Türkei auswanderten. Auf der Grundlage des diplomatischen Schriftverkehrs zwischen dem jugoslawischen und türkischen Außenministerium zeigte er die ambivalente Haltung der Staaten zu den unterschiedlichen muslimischen Gruppen auf. Den Abschluss des Panels bildete der Vortrag von Sarah Scholl-Schneider (Augsburg) „‚Die Remigration ist schwieriger als die Emigration‘. Biographische Erfahrungen tschechischer Remigranten“. In lebensgeschichtlichen Interviews mit tschechischen Remigranten in Elitepositionen arbeitete sie deren Erfahrungen des Exils und der Rückkehr nach 1989 heraus, die diese angesichts der Ablehnung und der Vorwürfe durch die Daheimgebliebenen nicht in der Öffentlichkeit thematisierten.

Das Panel „Staaten und Bevölkerungen in Bewegung“ versammelte Beiträge zu „Migrationen der ethnischen Entmischung”, die im Kontext gewalttätiger Konflikte, der Auflösung multiethnischer Staaten und der Schaffung neuer, unabhängiger Nationalstaaten stattfinden. Im ersten Teil lag der Fokus auf den Massenumsiedlungen, die durch den Zerfall Jugoslawiens in den 1990er Jahren ausgelöst wurden. Anders Stefansson (Kopenhagen) behandelte in seinem Vortrag „Travelling States: State Reconfiguration, Coethnic Migration and Non-Diasporic Identities in Bosnia`s Serb Republic“ den Fall der während des Krieges aus Kroatien und Teilen Bosniens in die Republika Srpska geflohenen Serben. Trotz der sozialen und materiellen Schwierigkeiten an ihren neuen Aufenthaltsorten würde es der Großteil ablehnen, in die ursprünglichen Wohnorte zurückzukehren. Carolin Leutloff-Grandits (Graz) untersuchte in ihrer Fallstudie „Ethnic Unmixing in the Aftermath of the Yugoslav Successor Wars: Bosnian Croats in Croatia and Serbs in Serbia and Republika Srpska after 1995” die lokalen Prozesse nach der Wiedereingliederung der serbisch besetzten Gebiete, der Republik Srpska Krajina, in das kroatische Staatsterritorium. In komparativer Perspektive analysierte sie die Auswanderung lokaler Serben nach Serbien und in die Republika Srpska, die Rückkehr lokaler Kroaten an ihre alten Wohnorte und die Ansiedlung von Kroaten aus Bosnien in ehemals ethnisch gemischten Gebieten. Mila Dragojević (Providence) richtete unter dem Titel „Incorporation of Newcomers in Ethnic Homeland: Survey Results from Serbia” den Blick auf Flüchtlinge und andere Migranten aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina, die sich zwischen 1991 und 1996 in Serbien angesiedelt haben. Basierend auf Erhebungsdaten von 1200 Informanten aus vier Städten, gab sie einen Überblick über die Studie und wies auf Unterschiede bei der Frage nach der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Integration der Neuankömmlinge hin. Jasna Čapo Žmegač (Zagreb) knüpfte in ihrem Vortrag „Home Lost and Regained: Croatian Coethnic Migrants Ten Years After” an ihre nunmehr ein Jahrzehnt zurückliegenden Forschungen zu ethnischen Kroaten an, die 1991 ihre Wohnorte in der serbischen Provinz Vojvodina verließen und sich in Kroatien niederließen. In das Zentrum ihrer Analyse stellte sie den von koethnischen Migranten erlebten Sinn von „zu Hause sein“ und diskutierte diesen vor dem Hintergrund transnationaler Migrationsstudien.

Der zweite Teil des Panels „Staaten und Bevölkerungen in Bewegung“ beschäftigte sich mit Aspekten aus dem russischen und griechischen Kontext. Natalya Kosmarskaya (Moskau) untersuchte in ihrem Vortrag „’Refugees do not bring carpets with them!’. Some Lessons from the Study of ‘Russian’ Migrants´ adaptation in Russia” den Fall russischsprachiger Migranten aus Zentralasien, die sich seit den 1990er Jahren in Russland ansiedeln. Sie fokussierte dabei das ambivalente Verhältnis von Eigen- und Fremdzuschreibungen, sprachlicher und ethnischer Identität der Migranten, die von der russischen Lokalbevölkerung deutlich als „ethnisch Andere“ wahrgenommen werden. Irina Molodikova (Budapest) knüpfte mit ihrem Beitrag „New Migration policy of Russia and Old Phobias to Ethnic Migrants” an dieses Thema an. Auf der Grundlage einer Mediendiskursanalyse der politischen Parteien und der Verwaltung von 1991 bis 2008 arbeitete sie Ethnostereotype heraus und konstatierte eine Feindlichkeit gegenüber Migranten aus anderen GUS-Staaten innerhalb der russischen Gesellschaft, die durch das Fehlen eines effektiven Integrationsprogramms verstärkt werde. Kira Kaurinkoski (Athen) richtete ihr Augenmerk auf „’Returning’ Ethnic Greeks from the Former Soviet Union in the Greater Athens Area: Reflections on Individual and Collective Integration Strategies into Greek Society”. Sie diskutierte individuelle und kollektive Integrationsstrategien der ca. 200.000 ethnischen Griechen, die seit den späten 1980er Jahren aus der Sowjetunion nach Griechenland eingewandert sind, reflektierte deren Erinnerungen an die „Rückkehr“ und fragte, ob die Migranten tatsächlich „nach Hause“ gekommen seien. Ruža Tokić (Berlin), die kurzfristig anstelle von Onur Yildirim (Ankara) sprach, schloss das Panel mit ihrem Vortrag „The Aegean Macedonian Diaspora Between Memory, Expulsion and Integration”, in dem sie den Fall der slawischsprachigen Kinder aus Nordgriechenland untersuchte, die während des griechischen Bürgerkriegs von 1944-1949 in sozialistische Staaten umgesiedelt wurden. Vor dem Hintergrund des aktuellen griechisch-makedonischen Konflikts beleuchtete sie die Rolle dieser „deca begalci“ (Kinder-Flüchtlinge).

Das Panel „Migrationslinguistik“ wandte sich abschließend dem Themenkomplex der Integration koethnischer Migranten von sprachwissenschaftlicher Seite zu. Vjačeslav Popkov (Kaluga) stellte „Charakteristika des transnationalen russischsprachigen Raums in Deutschland“ vor, die er auf der Grundlage von Interviews mit russlanddeutschen und jüdischen Migranten, die Russisch als Alltagssprache verwenden, herausgearbeitet hatte. Peter Rosenberg (Frankfurt/Oder) griff den russischen Fall unter dem Titel „‘Die sprechen ja nicht mal richtig Deutsch!‘. Zur Integration von Russlanddeutschen in Deutschland“ auf, wobei er den Fokus auf den Integrationsverlauf von Russlanddeutschen in die deutsche Gesellschaft legte. Er betonte die besondere Bedeutung von Sprache bei nationalen Identitätszuschreibungen. So seien Russlanddeutsche aufgrund ihres Sprachgebrauchs in Russland Deutsche, in Deutschland hingegen Russen. Tanja Petrović (Ljubljana) wandte in ihrem Vortrag „Whose Language? Co-ethnic Migrants and Contemporary Linguistic Identities in Serbia“ den Blick auf den serbischen Fall. Durch die Ansiedlung von ijekavischsprachigen, koethnischen Migranten aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina in den 1990er Jahren sei es zu Zusammenstößen unterschiedlicher Sprachideologien und kultureller Muster im überwiegend ekavischsprachigen Serbien gekommen, die zu einer Neuausrichtung der Sprachpolitik und Beurteilung einzelner Sprachvarietäten durch Serbischsprecher und ihre kulturellen Eliten geführt habe. Christian Voß (Berlin) spannte in seinem Vortrag „Linguistic Dimensions of Co-ethnic Divergence and Convergence along the Former Iron Curtain” einen Bogen von der innerdeutschen zur nordgriechischen Grenze. Laut Voß sei es nach der Wiedervereinigung im Sprachverhalten der Ostdeutschen zu einer unilateralen Akkomodation an den westdeutschen Standard gekommen. Diesen Befund verglich er mit dem Sprachverhalten von Grenzlandminderheiten wie den Slawischsprechern Nordgriechenlands und den Pomaken West-Thrakiens.

Die sehr ergiebige Abschlussdiskussion leitete Jasna Čapo Žmegač  mit der Frage nach den Spezifika koethnischer Migration ein. Sie betonte, dass die Migranten in den diskutierten Fallstudien nie selbst im vermeintlichen Heimatland gelebt hätten, weshalb anstelle von „return migration“ vielmehr von „ancestral“ oder „counter-diasporic migration“ gesprochen werden müsse. Klaus Roth bemerkte daraufhin, dass in diesem Zusammenhang verschiedene Konzepte von „Heimat“, „zu Hause“ und „Herkunft“ zu berücksichtigen seien. Ruth Mandel unterstrich hierbei einen entscheidenden psychologischen Moment: Das Bewusstsein, dass eine Rückkehr „nach Hause“ aufgrund des Zwangscharakters der Migration nicht mehr möglich sei, befördere die Entstehung von Opferdiskursen und Exilerfahrungen, die an die folgenden Generationen weitergegeben würden. Darüber hinaus ergäben sich u.a. aus der Vorstellung von Nation als kulturell und sprachlich homogener Einheit auch die Frustration und die Integrationsprobleme vieler Migranten, deren Erwartungen angesichts der Unterschiede zur einheimischen Bevölkerung, den vermeintlichen „Landsleuten“, enttäuscht würden. Eine rege Diskussion beförderte Jon Fox, der den koethnischen Faktor als Determinante in den vorgestellten Studien hinterfragte. Ihm zufolge stellten oftmals sozioökonomische Gründe die ausschlaggebende Triebkraft für den Migrationsentschluss dar und Ethnizität werde erst thematisiert, wenn die Hoffnungen auf Wohlstand enttäuscht worden seien. Peter Rosenberg griff die Frage nach dem Stellenwert von Koethnizität auf und konstatierte, dass dieser Faktor in der Betrachtung zugunsten der Bedeutung von Sprache minimiert werden müsse. So sprächen koethnische Migranten zwar dieselbe Sprache wie die einheimische Bevölkerung im Einwanderungsland, minimale Unterschiede seien jedoch ausreichend, um als anders und nicht dazugehörig wahrgenommen zu werden. Der zu erscheinende Konferenzband verspricht neben der Zusammenstellung der Beiträge die Fortführung dieser spannenenden Diskussion zur Integration koethnischer Migranten.

 

Bericht von Ruža Tokić