Sonderfonds Östliches Europa
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Vanda Vitti: (Trans-)Formationen jüdischer Lebenswelten nach 1989. Fallstudien aus slowakischen Städten (Dissertationsprojekt)

Das Promotionsprojekt baut vertiefend auf den Ergebnissen der Magisterarbeit über jüdische Erfahrungswelten in der südslowakischen Stadt Lučenec auf und zielt auf eine historisch grundierte ethnografische Analyse des gegenwärtigen jüdischen Lebens in den Städten Košice und Lučenec ab. Das multiperspektivisch angelegte Forschungsdesign umfasst von Archivrecherchen über Architektur-, Objekt- und Medienanalysen auch Experten- und Expertinneninterviews, teilnehmende Beobachtung sowie narrative und biographische Interviews. Durch diesen Methodenmix soll ein dichtes Bild jüdischer Lebenswelten in ihrem historischen und stadtkulturellen Kontext entstehen.
Die sichtbaren Spuren jüdischen Lebens in Košice lassen ebenso wie in Lučenec eine einst zahlenmäßig starke, in ihrem urbanen Umfeld und im alltäglichen städtischen Leben verankerte, prosperierende und heterogene jüdische Gemeinde mit bis zu vier verschiedenen Glaubensrichtungen erahnen. Synagogen, Gemeindeanlagen, jüdische Schulen und Friedhöfe tragen in beiden Städten allerdings auch die Spuren des 20. Jahrhunderts und seiner wechselvollen Geschichte. Die zum Teil während der Blütezeit der jüdischen Gemeinden im ehemaligen Ungarn sowie in der Zwischenkriegszeit erbauten Gebäude und Anlagen bieten heute mit wenigen Ausnahmen einen stark vernachlässigten und desolaten Anblick. Die Auswirkungen von Holocaust, Sozialismus und die wechselnden nationalen Zugehörigkeiten dieser multiethnisch besiedelten Grenzregion im Süden der heutigen Slowakei beeinflussen das jüdische Leben dort nach wie vor.
Wie sieht das jüdische Leben heute in Košice und Lučenec aus und wie generieren sich dort individuelle Lebenswelten der Menschen mit jüdischen Wurzeln? Unter welchen Bedingungen wurde und wird jüdische Kultur und Religion in einer postsozialistischen Transformationsgesellschaft "rekonstruiert" und belebt?
Mit dem mehrschichtigen Begriff der (Trans-)Formationen wird zum einen auf die Fragen des Wandels und der innerfamiliären, biografischen Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte angespielt. Ich untersuche, ob und wie persönliche und familiäre Schicksale nach Holocaust und Staatssozialismus in die Gegenwart „transformiert“ und „lebbar“ gemacht werden. Zum anderen sollen auch die öffentlichen Ausdrucksformen jüdischen Lebens in den jeweiligen jüdischen Gemeinden in den Städten untersucht werden.
Ich möchte in dieser Arbeit jüdischen Erfahrungs- und Lebenswelten nachspüren, die sich in einem Spannungsfeld aus individuellen und kollektiven Erinnerungspraktiken, divergierenden Identitätsentwürfen und Zugehörigkeitsmustern in der sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Alltagsrealität osteuropäischer Städte wie Košice und Lučenec  generieren.
Der Fokus richtet sich hier auch auf die Bedeutung der jüdischen Religion und Kultur für die identitäre Verortung und Gruppenbildung in historischer und gegenwärtiger Perspektive unter dem Einfluss identitätspolitischer, ökonomischer und lebensweltlicher Rahmenbedingungen, wobei vor allem die wechselseitige Durchdringung religiöser,  nationaler und ethnischer Zugehörigkeiten, Selbst- und Fremdbilder relevant ist.