Sonderfonds Östliches Europa
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Workshop: "Theoretisch-methodische Zugänge zu kollektiver Erinnerungskultur und individuellen Identitätskonstruktionen - russische und deutsche Wissenschaftssysteme im Dialog"

Frankfurt am Main, 14.02.2017

Sara Reith:

Abschließender Bericht für den Schroubek Fonds Östliches Europa

Workshop
„Theoretisch-methodische Zugänge zu kollektiver Erinnerungskultur und individuellen Identitätskonstruktionen – russische und deutsche Wissenschaftssysteme im Dialog“

Vom 14. bis 16. September 2016 fand an der Europäischen Universität in Sankt Petersburg der internationale, interdisziplinäre Workshop „Theoretisch-methodische Zugänge zu kollektiver Erinnerungskultur und individuellen Identitätskonstruktionen – russische und deutsche Wissenschaftssysteme im Dialog“ für deutsche und russische NachwuchswissenschaftlerInnen statt. Der Workshop war eine Fortsetzung des im November 2015 an der Universität Mainz durchgeführten Workshops „Russische Kultur – deutsche Kultur? Nationale Identitätskonzepte in aktuellen geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungen“.

Organisiert und durchgeführt wurde die Veranstaltung von den DoktorandInnen Anna Flack (Vergleichende Kulturwissenschaft, Universität Osnabrück), Christina Lokk (Soziologie, Stiftung Universität Hildesheim), Julia Person (Kommunikationswissenschaft, Universität Erfurt), Sara Reith (Kulturanthropologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz), Natalja Salnikova (allgemeine und vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) und Andrey Trofimov (Europäische Ethnologie, Phillips-Universität Marburg).

Kooperationspartner von der Europäischen Universität in Sankt Petersburg war Prof. Dr. Sergej Shtyrkov (Anthropologische Fakultät). Mit der Stiftung zur Förderung und Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen „Deutsch-Russisches Begegnungszentrum“ (drb) wurde ein weiterer Partner in Sankt Petersburg gewonnen. Der Workshop wurde gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Juniorprofessur für „Migration und Integration der Russlanddeutschen“ an der Universität Osnabrück, die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, den Schroubek Fonds Östliches Europa sowie die MArburg University Research Academy.

Die Arbeitssprachen waren Deutsch und Russisch, daher waren Kenntnisse in der jeweils anderen Sprache Grundvoraussetzung für eine Teilnahme. Erwartungsgemäß lag der Schwerpunkt jedoch klar auf dem Russischen – das galt sowohl für die Eröffnungs- und Abschlussvorträge sowie für die inhaltliche Gestaltung der einzelnen Workshopeinheiten.
Aus 35 BewerberInnen mit unterschiedlichen Fachrichtungen wählte das Organisatorenteam 16 TeilnehmerInnen aus. Es handelte sich sowohl um Studierende im letzten Jahr, als auch DoktorandInnen/ AspirantInnen sowie junge Postdocs aus Deutschland und Russland. Informationen über die TeilnehmerInnen sowie ihre Forschungsarbeiten wurden in einer zweisprachigen Veranstaltungsbroschüre für alle zugänglich gemacht. So konnten die TeilnehmerInnen nicht nur während des Workshops gezielt Personen mit ähnlichen Forschungsinteressen ansprechen, sondern haben zudem die Möglichkeit, im Nachgang des Workshops neue Kontakte zu knüpfen, bestehende zu pflegen und diese für etwaige Kooperationen zu nutzen.

Konzipiert wurde der Workshop in innovativer Abgrenzung zu üblichen Wissenschaftsformaten als Forum der gemeinsamen methodologischen und methodischen Arbeit und Reflexion. Nach einem einleitenden Vortrag von Christina Lokk und Sara Reith über unterschiedliche Theorien von Erinnerungskultur bzw. kollektivem Gedächtnis (Assmann, Repina, Wutkiewitsch, Makarov) sowie einem Einführungsvortrag von Ekaterina Melnikova über die Erinnerungsnarrative von Sowjetbürgern, welche sich im ehemaligen Finnisch-Karelien ansiedelten, ordneten sich die TeilnehmerInnen je nach Erkenntnisinteresse einer von drei Arbeitsgruppen zu, statt wie sonst gewohnt Vorträge über ihre jeweiligen Forschungsthemen zu halten.

Die drei von den OrganisatorInnen angeleiteten, parallel stattfindenden Methodenworkshops beschäftigten sich mit der Medieninhaltsanalyse (Julia Person und Sara Reith), mit teilnehmender Beobachtung im Kontext der musealen Inszenierung (Natalja Salnikova und Andrey Trofimov) und oral history/Interview (Christina Lokk und Anna Flack). Die einzelnen Gruppen setzten sich theoretisch mit den Methoden auseinander, diskutierten ihre Anwendungsmöglichkeiten und -grenzen und bereiteten empirische Erhebungen bzw. eine quellenbasierte Untersuchung mit Fokus auf russlanddeutscher Erinnerungskultur hinsichtlich des Großen Vaterländischen Kriegs vor. Das Forschungsfeld stellte das Deutsch-Russische Begegnungszentrum (drb) in Sankt Petersburg dar. Im Anschluss an eine Führung durch das Kirchengebäude samt der Dauerausstellung „Deutsches Leben in St. Petersburg“ und die Katakomben darunter gaben Irina Tscherkasjanowa und Arina Nemkowa Einblicke in ihre kulturell-kuratorische (Forschungs)Arbeit.

Die Abschlussdiskussion zielte auf eine Methodenreflexion vor dem Hintergrund der verschiedenen Fachdisziplinen sowie der unterschiedlichen Wissenschaftssysteme ab. Vonseiten einiger WorkshopteilnehmerInnen wurden die Fächergrenzen als zentraler wahrgenommen als die Tatsache, in unterschiedlichen Wissenschaftssystemen akademisch sozialisiert worden zu sein, zumal die theoretische Grundlage international häufig dieselbe sei. Darüber hinaus wurde der Unterschied akzentuiert, dass im russischen Wissenschaftssystem Befunde über Narrative bewertet und im Sinne einer Handlungsanleitung für die Gesellschaft aufbereitet werden würden, wohingegen deutsche Forschungen sich (lediglich) darauf konzentrierten, diese herauszuarbeiten und zu beschreiben.

Die intensive Auseinandersetzung mit einer neuen Methode bzw. die Herangehensweise an eine bereits bekannte Methode aus einer anderen nationalstaatlichen und/oder fachlichen Perspektive ist zum einen nutzbringend für die Fortführung der jeweiligen Forschungsarbeiten der WorkshopteilnehmerInnen. Zum anderen nutzten sie die Möglichkeit zum Erfahrungs-austausch: Sie ließen sich offen auf das Workshopformat ein, arbeiteten in den Methoden-gruppen mit und diskutierten engagiert im Plenum. Da die TeilnehmerInnen in unterschiedlichen Fachdisziplinen verortet sind (Kulturanthropologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft, Linguistik, Interkulturelle Studien, Geschichte, Sozialphilosophie), erfolgte die Auswertung aus unterschiedliche Forschungsperspektiven und auch das Potenzial interdisziplinärer, internationaler Forschungen wurde erkannt. Als unmittelbarer Erfolg der durchgeführten Veranstaltung sind Aufbau und Erweiterung eines neuen WissenschaftlerInnen-Netzwerkes zu werten.

Ausgehend aus den positiven Erfahrungen und Rückmeldungen von TeilnehmerInnen der ersten beiden Workshops, hat sich das Organisatorenteam dazu entschlossen, einen dritten NachwuchswissenschaftlerInnenworkshop in Osnabrück zu organisieren.