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Brigita Malenica: Männer bauen Staaten. Narrative Konstruktionen kroatischer Nationalstaatlichkeit (Dissertationsprojekt)

Brigita Malenica, Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien

Leopold Kretzenbacher-Stipendiatin von April bis Oktober 2011

 

Bericht über das Dissertations-Projekt

„Männer bauen Staaten“

Narrative Konstruktionen kroatischer Nationalstaatlichkeit

Januar 2012

 

Das Ende Jugoslawiens brachte nicht nur Kriege, sondern vor allem auch neue Nationalstaaten hervor, deren neue symbolischen Legitimationen häufig mit Mythenbildungen und Re-Traditionalisierungen in Verbindung gebracht werden. Aus dieser Perspektive erscheinen die postsozialistischen Staaten der Balkan-Region immer wieder als Kulturen, die entweder einer vormodernen Tradition verhaftet sind oder die Nationalstaatsbildung des 19. Jahrhunderts nachholen. Auch Kroatien, das sich selbst gegen die Zuordnung zum Balkan wehrt und seine mitteleuropäische Zugehörigkeit betont, war vor allem unter der autoritären Führung von Franjo Tuđman und seiner Partei HDZ in den 1990er Jahren diesem Verdacht einer „Balkan-Kultur“ anzugehören ausgesetzt. Gleichzeitig belegten auch kroatische Medien und Politiker die östlichen Nachbarn mit dem Stereotyp des „primitiven“ und „aggressiven“ Balkans.

 

Hinzu kommt, dass die Sprache des „Balkanismus“ als auch des jugoslawischen ethnisierten Konflikts seit den 1980er Jahre stark von geschlechtlichen Stereotypen und Zuschreibungen geprägt werden: Fremdbeschreibungen wie auch nationale Eigenkonstruktionen zitieren archaische, antike, biblische sowie republikanische Geschlechter-Bilder. Kritisiert wurden solche Bilder vornehmlich im Zusammenhang mit dem Hinweis auf eine „patriarchale Tradition“. Für Kroatien und seine kulturellen Konstruktionen spielt das Narrativ der „patriarchalen Herrschaft“ gleich mehrere, sich teilweise von einander unterscheidende Rollen: er stellt sowohl einen wesentlichen Teil feministischer Kritik an der nationalistischen Geschlechterpolitik dar, ist aber zugleich auch im Lager der Verteidiger des kroatischen Nationalstaats ein Vorwurf, der gegen den serbischen „Gegner“ vorgebracht wird. Zudem findet man immer wieder auch „westliche“ Darstellungen hypermännlicher, patriarchaler Kulturen, die sich auch auf Kroatien als Teil des Balkans beziehen. Patriarchale Kulturen wurden teilweise auch dann ausgemacht, wenn die noch junge Demokratie offensichtlich von ihren Eliten verbogen wurde. Doch handelt es sich hier tatsächlich um traditionelle patriarchale Kulturen?

 

Die Kritik der feministischen kroatischen Philosophin Rada Iveković richtete sich Anfang der 1990er Jahre gegen die „männlichen Narrative“, die die Nationalstaatspolitik bestimmten. In diesem Sinne stellten feministische Positionen diesem hegemonialen männlichen Diskurs „weibliche Narrative“ als counter narratives entgegen. Feministische Protagonistinnen wurden aufgrund ihrer Infragestellung nationalistischer Erzählungen in den Medien als nationale Verräterinnen gebrandmarkt. Diesen gegenderten Konflikt um die „wahre“ Art und Weise, die Nation zu erzählen aufnehmend, hat das Forschungsprojekt zum Ziel, die Wandlung postsozialistischen Wissens über den (National)Staat zu erkunden, und damit die Wahrnehumungs-Beschränkungem, welche die Begriffe Mythos und Tradition mit sich bringen, aufzubrechen. Um diesen Perspekivenwechsel herzustellen, wird die Frage zunächst danach gestellt, welche hegemonialen Männlichkeiten in den beschriebenen postsozialistischen Wissens-Diskurs eingebettet sind.

 

Das narrative Wissen wird zudem als Teil der sozialen Praxis sowie von Subjektivierungsprozessen gefasst, welche die postsozialistische Bürgerkultur mitbestimmen. Daran knüpft die Frage an, welche Narrative vergeschlechtlichtes Wissen über den Staat generieren und damit eine soziale Praxis der Rechtfertigung und Subjektivierung formen? Da auffallend ist, dass der demokratische Wandel von keiner Diskussion über die Formierung von „Öffentlichkeit“ begleitet wurde, wie dies im 19. Jahrhundert der Fall war, stellt der Begriff des Narrativs einen Indikator für ein anderes, „postmodernes“ Verständnis des Öffentlichen dar. Zugleich bleibt das Narrativ als klassisches kulturwissenschaftliches Analysefeld erhalten. Aus diesem Grund verfolgt das Projekt einen interdisziplinären Ansatz: Zum einen wird das Narrativ sowohl als Begriff der Kulturanalyse als auch als immanenter Teil des Demokratisierungsprozesses theoretisch entwickelt. Zum anderen folgt eine Auslotung des narrativen Wissensfundus', indem Topoi, Figuren und Begriffe sowie ihre geschlechtliche Bestimmung herausgearbeitet werden, die zentral für die Erzählungen über den kroatischen Nationalsstaat sind. Hierfür werden im kroatischen Schulcurriculum kanonisierte literarische und politische Texte, politisch-historische Publizistik sowie der Verfassungstext herangezogen. Anhand dieser werden Widersprüchlichkeiten und Mehrschichtigkeiten des postsozialistischen Wissenswandels thematisiert. Auch wird hierfür die „Postmoderne“ als Begriff wieder zurück in die Diskussion geholt, um den epistemologischen Wandel zu beschreiben, der das historische und erzählerische Bewusstsein der Informations- und Wissensgesellschaften in den 1980er und 90er Jahren und somit die Wahrnehmung des Zusammenbruchs Jugoslawiens mitbestimm(t)en.