Sonderfonds Östliches Europa
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Johannes Heinke: Ein stadtethnographischer Versuch über den Wenzelsplatz in Prag (Magisterprojekt)

Johannes Heinke

Ein stadtethnographischer Versuch über den Wenzelsplatz in Prag (Magisterprojekt)

Der Prager Wenzelsplatz ist ein exponiertes Beispiel für ein urbanes, soziokulturelles Feld, in dem sich in einer verdichteteten Konstellation überregionale, mediale und lokale Diskurse mit Praxen alltäglicher Raumproduktion, mit Nutzung, Aneignung und Sinngebung überschneiden und verstärkend durchdringen. In der Mitte der (nationalstaatlichen Haupt–) Stadt ist der Platz sowohl Standort wichtiger und repräsentativer Unternehmen, Geschäfte und Einrichtungen, Gegenstand planerischer Debatten und Verwaltungsmaßnahmen als auch zentraler Schauplatz von Hochkultur, Tourismus, Konsum und Vergnügen, von Armut, Kriminalität und Ausgrenzung. Gleichwohl viele der sozialen Praxen äußerst flüchtiger Natur sind, regiert der Platz, wie gezeigt werden soll, ein weites städtisches Einflussgebiet symbolisch wie praktisch.

Einerseits vermag ein solcher Verdichtungsort stadtethnographischer Forschung als Fallbeispiel dienen, an dem exemplarisch die Veränderung der urbanen Alltagskultur nach der Wende in Bezug auf die einzelnen Phänomene nachgezeichnet werden kann. Andererseits entwickelt er komplexe Eigendynamiken, die nur über einen ortsspezifischen, „eigenlogischen“ Ansatz verstanden werden können. Einem solchen Ansatz gehe ich in meiner Forschung mit der Leitfrage nach, um was für einen (sozialen) Ort es sich beim Wenzelsplatz handelt, ob es eine „Kultur des (Wenzels–)Platzes“ gibt und wie sich das Motiv des „kaputten Raumes“, das für die öffentliche Debatte tonangebend ist, analytisch fassen lässt. Frei einer vorausgehenden Zuordnung zu den typologischen Kategorien der „europäischen“ bzw. „ostmitteleuropäischen“ Stadt oder der „sozialistischen“ bzw. „postsozialistischen Stadt“ sollen die vielfältigen und kontroversen Muster des Alltags beschrieben werden, um sie anschließend in ihrem historischen, geographischen und gesamtgesellschaftlichen Kontext zu verorten. Hierbei wird nun die Frage nach der (neuen) Mitte der Stadt in ihrem sozio–urbanen Doppelsinn virulent – wer macht sie aus, wer gestaltet sie, wer beansprucht sie für sich? Es soll die These geprüft werden, dass der Wenzelsplatz alte Exklusivität fortschreibt, aber gleichzeitig neue Exklusion produziert, nicht ohne dabei jedoch zu einer Vergemeinschaftung der Ausgegrenzten und Anderen beizutragen.

Dank des mir zugeteilten Leopold-Kretzenbacher-Stipendiums ist es mir möglich, über mehrere Monate Feld- und Bibliotheksforschung in Prag betreiben. Über den wenig umfangreichen Literaturbestand hinaus können so weitere Pragensien und populäre Medien, etwa die Lieder über den Wenzelsplatz, in die Betrachtung einbezogen werden, die in Deutschland schlecht zugänglich sind. Die empirische Forschung selbst gliedert sich in eine Beobachtungsphase mit intensiver Präsenz am Platz und Recherchen, bei denen ich den Akteuren vom Platz aus in die Stadt folge. Auch die Teilnahme an einer Konferenz mit der Möglichkeit, tschechische Experten vor Ort zu konsultieren, ist so gegeben.