Sonderfonds Östliches Europa
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Ilona Grabmaier: Daheimgeblieben. Re/Konfigurationen von Sorge von und für Männer, Kinder und SeniorInnen in der ländlichen Ukraine (Dissertationsprojekt)

Daheimgeblieben. Re/Konfigurationen von Sorge von und für Männer, Kinder und SeniorInnen in der ländlichen Ukraine (Dissertationsprojekt)

Seit den frühen 2000er Jahren erleben zahlreiche Dörfer in der Westukraine eine massive Abwanderung, besonders von Frauen. Während die Situation von Arbeitsmigrantinnen in den Empfängerländern und deren Bemühungen, transnationale Care-Beziehungen mittels unterschiedlicher Formen des Austausches aufrecht zu erhalten, ethnografisch relativ gut erforscht sind, wissen wir bislang noch sehr wenig darüber, wie sich die Abwesenheit von Frauen auf die sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse der daheimgebliebenen Familienangehörigen auswirkt. Im Mittelpunkt meiner Dissertation steht daher die Untersuchung der Auswirkungen weiblicher Arbeitsmigration auf ländliche Gebiete der Westukraine. Dabei gehe ich der Frage nach, wie daheimgebliebene Menschen vor dem Hintergrund eines als schwach und defizitär wahrgenommenen Staates, der weitgehenden Abwesenheit von Arbeitsplätzen und einer damit zusammenhängenden massiven Abwanderung, ihr (Über-)Leben sichern. Wie ich zeige, schafft die eigentlich als eine Form von Care/Sorge intendierte Abwanderung (neue) Ungleichheiten und trägt ebenfalls zur (Re-)Produktion von Unsicherheiten bei, wodurch neue Formen von In- und Exklusion zu und von Familien, lokalen Gemeinschaften und dem Staat entstehen.

Aufbauend auf einer insgesamt 12-monatigen ethnographischen Feldforschung werden in meinem Dissertationsprojekt insbesondere die Situation der in den Dörfern zurückgebliebenen Großeltern, Väter, Geschwister und Kinder sowie deren Einbettung in diverse Netzwerke gegenseitiger Unterstützung beleuchtet, wobei konkrete Sorgepraktiken und deren Verhandlungen an der Schnittstelle zwischen Verwandtschaft und Staat den Ausgangspunkt meiner Analyse bilden. Aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive werden mittels theoretischer Ansätze zu Care, Verwandtschaft, Gender, Staat und Moral die wechselseitigen Prozesse und Dynamiken zwischen kontemporären transnationalen Migrationsbewegungen, Geschlechterbeziehungen und strukturellen und ökonomischen Veränderungen ebenso wie deren Auswirkungen auf den ländlichen Raum in der Westukraine aufgezeigt. Bisherige Studien zu den Auswirklungen weiblicher Arbeitsmigration legten ihren Fokus zumeist auf die Abwesenheit von Müttern und die zentrale Rolle, die diesen in Bezug auf emotionale und materielle Care-Arbeit hinsichtlich ihrer Kinder, Ehemänner und Eltern zugeschrieben wird. Diesen Fokus auf die Perspektive der Frauen und Mütter betrachte ich als analytisch problematisch, da eine Naturalisierung von Mutterschaft und Familie sowie die damit einhergehenden Care-Erwartungen und -Verantwortungen den Blick auf andere AkteurInnen verstellen, die in der Bereitstellung von Care ebenso von Bedeutung sein können.

Ich möchte mich beim Schroubek-Fonds Östliches Europa vielmals für das Stipendium und die unkomplizierte Abwicklung desselben bedanken! Der Erhalt des Stipendiums hat mir einen Aufenthalt als Gastwissenschaftlerin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin sowie am Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung in Halle/Saale ermöglicht und mir maßgeblich dabei geholfen, meine Dissertation weitgehend fertigzustellen.