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Workshop: Die „Wende“ – Kunst- und Mediensysteme in Osteuropa nach den politischen Umbrüchen 1945 und 1989-91

Prof. Dr. Dr. Tanja Zimmermann

Leipzig, den 09.08.2017

Bericht über den Workshop Die „Wende“ – Kunst- und Mediensysteme in Osteuropa nach den politischen Umbrüchen 1945 und 1989-91, 6.-8. Juli 2017, Kunsthistorischen Institut, Universität Leipzig


Der Workshop untersuchte die axiologische Umschichtung in der Epistemologie, der Kunstproduktion und -rezeption beim Anbruch der kommunistischen Ära nach dem Zweiten Weltkrieg und nach deren Zusammenbruch 1989-91. Das Ziel des Austausches war es, durch einen komparatistischen Vergleich drei verschiedener Regionen – der Sowjetunion, Mittelosteuropas und Jugoslawiens – die Diskursivierung der „Wende“, die Intensität der Umbrüche sowie antizipierende und retrograde Phänomene mit Blick auf ihre Funktion in den postkommunistischen Erinnerungskulturen an exemplarischen Beispielen zu erforschen.
Der Convenor, Tanja Zimmermann (Institut für Kunstgeschichte, Univ. Leipzig), warf in der Einleitung den Blick auf die Geschichte der revolutionären Umbrüche, die mit der Oktoberrevolution eingesetzt hatten und bereits von den russischen Formalisten wie Jurij Tynjanov und Roman Jakobson als eine „Verschiebung“ von Elementen bzw. Komponenten in der Hierarchie des Kunstsystems betrachtet wurden. Auch Boris Groys stellte in seiner Studie Gesamtkunstwerk Stalin von 1991 nicht nur eine Kontinuität der monumentalen avantgardistischen Projekte im sozialistischen Realismus fest, sondern auch ein Fortleben des sozialistischen Pathos in der spät- und postkommunistischen Soz Art. Das Fortsetzen der Bildtraditionen nach der „Wende“ lassen die Umbrüche als passagenartige Übergänge voller Kontinuitäten, unterschiedlicher Geschwindigkeiten und diverser radikaler Veränderungen erscheinen. Diese Sachlage hat sich, so Zimmermann, mit der „Wende“ von 1989-91, die in die Zeit der postmodernen Zitatkultur fiel, noch verkompliziert. Oft ist es schwierig, zwischen unterschiedlichen Strategien des Rückblicks auf die kommunistische Periode zu unterscheiden: Geht es um eine persiflierende „Über-Identifikation“ mit der Sprache der totalitären Macht, wie die Künstlergruppe Neue Slowenische Kunst den Rückgriff auf die Symbole und Bildformeln totalitärer Regime begründete oder um ein affirmatives Wiederaufleben der kommunistischen Ikonen, wie der Stalin-Porträts auf den „Siegesbussen“ zum Gedenktag des „Großen vaterländischen Krieges“? Werden mit solchen Bildern die „Wenden“ markiert oder eher negiert? Zimmermann lud dazu ein, die progressiven und regressiven Tendenzen im internationalen Vergleich zu untersuchen, um zu einer kritischen, systematischen Erforschung der kommunistischen und postkommunistischen Erinnerungskultur zu gelangen.
Der Keynote-Speaker, Frank Zöllner (Institut für Kunstgeschichte, Univ. Leipzig), untersuchte in seinem Vortrag „Vor-Urteil und Nach-Urteil. Bewertungen der Leipziger Schule vor und nach 1989“ die ideologischen Motivationen der Kunstkritik bei der Interpretation der rätselhaften Bilder Werner Tübkes und Wolfgang Mattheuers in dem ost- und westdeutschem Staat. Während in der DDR die Gemälde als Kritik des westdeutschen Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der westlichen Konsumkultur verstanden wurden, wurden sie in der Bundesrepublik als verschlüsselte Botschaften gegen das herrschende kommunistische Machtsystem interpretiert. Wie Zöllner anhand von Quellen (Tagebücher, Notizen, Briefe) ausführte, müssten die Bilder von ihrer politisch-ideologischen Vereinnahmung befreit und im Rahmen der jeweiligen Zyklen untersucht werden. Die permanente Umdeutung und Dekonstruktion des Themas bzw. des Motivs in den Bildserien lässt eine eindeutige Interpretation nicht zu; vielmehr eröffnen die Differenzen und Variationen den Platz für vielschichtige Ambiguität.
Das erste Panel richtete den Blick auf die methodologischen und epistemologischen Aspekte des Perspektivenwechsels nach der ersten „Wende“ 1945. Anna Artwińska (Institut für Slawistik, Univ. Leipzig) skizzierte in ihrem Vortrag „Zwei linke Schuhe: Die ‚marxistische Wende‘ in Polen und ihre Kontexte“ zwei unterschiedliche methodologische Linien innerhalb der linken Theoriebildung, die am Institut für Literarische Forschung an der Polnischen Akademie in Warschau Ende der 1940er Jahren befolgt wurden – die des sogenannten „vulgären“ Marxismus und die des russischen Formalismus. Auch die Biografien der Literaturwissenschaftler ließen eine eindeutige marxistische „Wende“ nicht zu. Die „Wende“ fiel somit weniger radikal aus, als bisher in der Forschung behauptet. Robert Born (Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa GWZO, Leipzig) untersuchte die theoretisch-methodologische Herangehensweise des Kunstgeschichtsfaches nach den beiden „Wenden“. Während in der marxistisch dominierten Kunstgeschichte nach 1945 die sozialgeschichtlichen Ansätze Frederick Antals und Arnold Hausers bevorzugt wurden, erlebten sie nach 1989 als diskreditiert einen kompletten Niedergang, auch wenn es sich um keinen „vulgären“ Marxismus handelte. Erst die neu etablierten Kulturwissenschaften, die Postcolonial Studies und die Bildanthropologie zeigten in den 1990er Jahren erneut Interesse an der Sozialgeschichte. Wie Born konstatiert, erweisen sich die kleineren Binnenzäsuren in Mittelosteuropa – die Niederschlagung des ungarischen Aufstandes 1956 und des Prager Frühlings 1969 – sogar als folgenschwerer als die große Zäsur von 1945. Constanze Fritzsch (Staatliche Kunstsammlungen Dresden) verfolgte in ihrem Vortrag „Marxistische Poetik im Osten und Westen des geteilten Deutschlands in den 60er und 70er Jahren“ die Auswirkung der marxistischen Lektüre auf die Künstler A. R. Penck, Carlfriedrich Claus und Joseph Beuys. Deren individuelle Rezeption war von der ideologischen Auslegung im Ostblock befreit und richtete sich auf das Verhältnis von Kunst und Lebenspraxis, die Rolle der Kunst in der Gesellschaft sowie ihre performative Handelskraft. Künstler haben sich den Marxismus nicht in seiner ideologischen Auslegung wie im Ostblock, sondern durch eine subjektive, pragmatizistisch und diskurstheoretische Lektüre in den USA und Frankreich angeeignet. Barbara Murovec (ZRC SAZU, Ljubljana) richtete in ihrem Vortrag „Slowenische Kunst(geschichte) und Kunstkritik in den 1940er und 1950er Jahren“ den Blick auf das sozialistische Nachkriegsjugoslawien, das 1948 mit der Sowjetunion brach. Eine marxistisch-leninistische Auslegung der Kunst wie in den Ländern des Ostblocks wurde 1948-53 modifiziert. Während in den Satellitenländern nach dem Krieg eine Kampagne gegen den Formalismus einsetzte, konnte die slowenische Kunstgeschichtsschreibung der Wiener formalen Methode weiterhin treu bleiben. Schwieriger war es im Bereich der Kunstproduktion: Künstlern wurden in verschiedene Kategorien – Partisanen, Aktivisten, Sympathisanten, Neutrale und Verräter – eingeordnet, was ihre künstlerischen Karrieren nachhaltig unabhängig von der Stilausrichtung bestimmte. Bojana Matejić (University of Arts in Belgrade) schilderte in ihrem Vortrag “The Practice of Equality? The post-pedagogy of Joseph Beuys in the context of the Yugoslav Neo-Avant-Garde” den Austausch zwischen den jugoslawischen und deutschen Konzeptkünstlern Ende der 1960er und in den frühen 1970er Jahren. Beide Gruppen stützten sich auf die kritische Theorie der Frankfurter Schule und versuchten, nicht nur eine neue Form der pädagogischen Praxis als „Lebenskunst“ zu formulieren, sondern auch einen Demokratiediskurs im Sozialismus zu verankern, der Mitte der 1970er Jahren an der strengeren politischen Linie nach studentischen Protesten scheiterte.
Im zweiten Panel „Ausstellungs- und Sammlungspraktiken nach dem Zweiten Weltkrieg“ stellten Nachwuchswissenschaftlerinnen aus Leipzig und Slowenien ihre Forschungsergebnisse zum Umgang mit der Kunst nach der ersten „Wende“ von 1945 vor. Josephin Heller (Institut für Kunstgeschichte, Univ. Leipzig) erläuterte in ihrem Vortrag „Die ‚Schlossbergungen‘ im Raum Leipzig von privaten und öffentlichen Sammlungen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges“ exemplarisch an den Sammlungen Schletter und Freiherr Speck von Sternburg die Praxis der Enteignung durch die sowjetische Militäradministration, die in Vielem der nationalsozialistischen Praxis folgte. Zugleich wies sie auf die Probleme der Rückerstattung hin, die sich durch das Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 ergaben, das den Museen ermöglicht, die enteigneten Werke als Dauerleihgaben 20 Jahre zu behalten und nachträglich rechtmäßig zu erwerben. Die Beiträge der slowenischen Nachwuchswissenschaftlerinnen am ZRC SAZU, Vanja Dimic, Anja Iskra und Katarina Mohar, waren dem slowenischen Kunstsystem nach 1945 gewidmet. Vanja Dimic erläuterte in ihrem Vortrag „The First Decade of the Sculpture Collection at the Museum of Modern Art in Ljubljana“ den Aufbau der Institutionen, des Kunstmarktes und der Sammlungspraxis in Slowenien, die sich weniger nach dem Stil als nach den Biografien der Künstler richtete. Die abstrakte Kunst konnte durchaus mit den Forderungen nach einer sozialistischen Kunst vereint werden und galt nicht als Trennlinie zwischen der sozialistischen und der westlichen Kunst. Vor diesem Hintergrund präsentierte Anja Iskara die schwierige Rezeption der Künstlers France Gorše, der als Verräter galt und in die USA emigrierte. Seine Ausstellungen wurden trotz des Erfolges im Ausland auch noch in den 1970er in Slowenien Jahren verboten. Tjaša Šavorič stellte die Formierung der „Gruppe 53“ vor, die als erste in Slowenien mit dem sozialistischen Realismus brach und sich nach dem französischen Tachismus orientierte. Katarina Mohar widmete sich den sozialistischen Mosaiken in der Tito-Villa auf Brioni, die Tourismusbilder als Darstellungen des Golden Zeitalters der sozialistischen Erfolge der befreiten Arbeiter verherrlichten. Die zusammenhängenden Vorträge ermöglichten ein geschlossenes Bild auf das mediale Kunstsystem in Slowenien nach 1945, das sich deutlich von den Ländern des Ostblocks abgrenzte und eine zweite Umstrukturierung in den Jahren 1948-53 durchlief. Obwohl die Themen ausgezeichnet recherchiert und präsentiert wurden, mangelte es an einer komparatistischen Perspektive, die über die Grenzen Sloweniens hinausgeht.
Im dritten Panel „Die ‚Wende‘ vor der ‚Wende‘ 1989-91“ wurden verschiedene künstlerische Strategien analysiert, die den Umbruch ankündigen bzw. vorwegnehmen. Die Leipziger Nachwuchswissenschaftlerin und Mitorganisatorin des Workshops, Julia Krah, setzte sich mit der kaum erforschten Serie „Soz Art“ des ukrainischen Künstlers Boris Michailov auseinander. Sie stellte überzeugend dar, das Michailovs Fotoserie nicht nur in Auseinandersetzung mit den Gemälden und Skulpturen der Moskauer „Soz Art“ (Vitalij Komar, Aleksandr Melamid u.a.) oder als Teil dieser Kunstrichtung entstand, sondern diese durch die gezielt eingesetzte Kolorierung in Rot und Rosa sowie die neo-faktische Motivgestaltung auch ironisierte. Damit vollzog Michailov eine „Wende“ vor der „Wende“, die bisher fälschlicherweise der Soz Art zugeschrieben wurde. Jožef Muhovič (ALUO, Ljubljana) setzte sich in seinem äußerst interessanten und anregenden Vortrag mit der Strategie der „subversiven Affirmation“ bzw. der „Überidentifikation“ mit der totalitären Bildsprache in der slowenischen Kunst der 1980er Jahre auseinander. Während die Imitation des nationalsozialistischen und kommunistischen Pathos zur Zeit des Kommunismus eine subversive Wirkung auf den politischen Machtappaart ausübte, verlor diese Form der Appropriation inzwischen ihre Sprengkraft und begann, die Bildsprache und die Rhetorik des Totalitarismus zu reproduzieren. In der lebhaften Debatte wurde darüber diskutiert, ob die Künstlergruppe Neue Slowenische Kunst (Laibach, Irwin u.a.) außerhalb des kommunistischen Kontextes, wie bei den Auftritten in den USA, überhaupt richtig rezipiert werden kann, ohne fälschlicherweise mit der Akklamation des Totalitarismus verwechselt zu werden. Auch über den Auftritt der Gruppe Laibach 2016 in Nordkorea wurde kontrovers debattiert, ob beim Auftritt eine Differenz zum herrschenden Machtapparat Kim Jong-uns erbracht wurde oder nicht.
Im vierten Panel „Die ‚Wende‘ in der Denkmalpflege nach 1989-91: Schwerpunkt Leipzig“ berichtete Peter Leonhardt (Amt für Bauordnung und Denkmalpflege, Leipzig) über den Umgang mit dem Sowjetischen Pavillon auf dem Gelände der Alten Messe in Leipzig, der auch den Flyer der Tagung schmückte, gestaltet von der Studierenden und Mitorganisatorin des Workshop, Christina Hecht. Dieses Denkmal, errichtet bereits in den 1920er Jahren, ist durch seine zahlreichen Umgestaltungen wie kein anderes Denkmal in Leipzig mit dem Begriff der „Wende“ verbunden. Die darin enthalten Mosaiken, die neuerdings wieder aufgedeckt wurden, werden nicht als Teil der DDR-Vergangenheit musealisiert, sondern – wie die Stadt- und Landesverwaltung entschied – wegen der hohen Kosten der Restaurierung und Aufbewahrung an die Russische Föderation zurückgegeben. Die Führung durch das sozialistische Leipzig unter der Leitung von Herrn Leonhard konnte wegen eines starken Gewitters leider nicht in vollem Umfang realisiert werden. Trotzdem konnten einige Gebäude aus verschiedenen sozialistischen Phasen (Stalinismus, sozialistischer Modernismus) und ihre spezifische Bauart besichtigt werden.
Im Anschluss an den Stadtrundgang fand das fünfte Panel statt, das sich der „Wende“ in den visuellen Künsten nach der deutschen Wiedervereinigung widmete. Die Leipziger Nachwuchswissenschaftlerin Elisabeth Schaber konnte ihrem Vortrag „Abgelöste Utopien – Der Umgang mit Raumfahrt-Wandbildern aus der DDR nach 1990“ den unangemessenen Umgang mit dem sozialistischen Erbe der DDR noch bekräftigen. Während die futuristisch aussehende, sternenartige Milch-Mokka-Bar in Cottbus nach der „Wende“ wegen des schlechten Zustandes und der Pläne für ein Kaufhaus einfach abgerissen wurde, ist das ästhetisch weitaus weniger reizvolle Gebäude des Rechenzentrums in Potsdam im Stil des sozialistischen Modernismus bisher noch erhalten geblieben. Der Grund für die Erhaltung war der größere Respekt vor dem Ort, der stärker an den sozialistischen Raumfahrtmythos anknüpfte. Ein weiterer Grund war es, dass sich auf demselben Gelände früher eine im 19. Jahrhundert errichtete Garnisonskirche befand, die als Sinnbild für den Schulterschluss zwischen Hitler und Hindenburg galt. Sie wurde zwar nach dem Krieg als Ruine und Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit abgerissen, zur Zeit ist die Diskussion um ihren Wiederaufbau jedoch erneut im Gange, wodurch man versucht, nicht nur die „Wende“ nach 1945 rückgängig zu machen, sondern auch die faschistische Vergangenheit zu verdrängen. Kerstin Borchhardt (Institut für Kunstgeschichte, Univ. Leipzig) verglich die Plakate des Leipziger Zoos aus der sozialistischen Periode mit denen nach der „Wende“. Während in der sozialistischen Zeit der Zoo die Rolle des Naherholungsgebiets und des Substituts fürs Reisen in entfernte Länder war, wurden exotische Tiere nach 1989 als Individuen und Partner des Menschen in christliche und ökologische Konzepte eingebunden.
Im letzten, sechsten Panel „Die ‚Wende‘ in den visuellen Künsten und Mediensystemen in der Russischen Föderation“ setzte sich die Literaturwissenschaftlerin Christine Gölz (Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa GWZO, Leipzig) mit dem Konzept des „neuen Menschen“ im postkommunistischen Russland auseinander. Während Sergej Livnevs Film Hammer und Sichel (1994) zitatartig die Ikonen der Oktoberrevolution sowie des sozialistischen Realismus aufgreift und den „neuen Mensch“ bis ins Äußerste – bis hin zur Geschlechterwandlung von Frau zu Mann, karnevalisiert, manifestiert sich im letzten Jahrzehnt erneut seine affirmative Wiederbelebung des sozialistischen Konzepts. Diese manifestiert sich nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in Putin-Darstellungen mit entblößten, sportlichen Oberkörper. Im abschließenden Vortrag analysierte die Kuratorin Olga Vostretsova (Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig / Künstlerhaus Schloß Balmoral, Bad Ems) die transnationalen künstlerischen und kuratorischen Netzwerke nach 1989, die sich erst allmählich von den Konzepten der sozialistischen Genossenschaften befreiten. Während in den 1990er Jahren zahlreiche Projekte in enger Zusammenarbeit mit den westeuropäischen Künstlern durchgeführt wurden, wie z.B. das Ausstellungsprojekt Interpol, ist die Zusammenarbeit gegenwärtig zurückgegangen und wird stärker auf der nationalen Ebene betrieben. Dieses Phänomen lässt vor dem Hintergrund der gescheiterten Zusammenarbeit infolge der Identitätsexzesse (z.B. die Aggression der russischen Künstler als Teil der Performance, die sich gegen den westliche Künstler und Betrachter richtet) sowie der Erstarkung der nationalstaatlichen Konzepte nachvollziehen.
Auf der interdisziplinären Tagung, an der Spezialisten und Nachwuchswissenschaftler aus Ost- und Südosteuropa sowie aus der Region (von verschieden Instituten in Leipzig und Umgebung) teilnahmen – Kunsthistoriker, Kuratoren, Spezialisten aus der Denkmalpflege und Literaturwissenschaftler/Slawisten – stellte sich heraus, dass der Begriff der „Wende“ als scharfe Zäsur und Umbruch revidiert werden muss. Vielmehr konnten Antizipationen und Kontinuitäten festgestellt werden, welche die Kunst- und Mediensysteme im Kommunismus als weniger monolithisch erscheinen lässt, als in der Literatur- und Kunstgeschichtsschreibung bisher behauptet. Während die politischen „Wenden“ von 1945 und 1989-91 als epochenbildende Zäsuren in die Geschichte eingingen, offenbaren Architektur, bildende Kunst und andere Medien ein viel stärker verwachsenes Bild ohne scharfe Trennlinien, die erst durch politisch-ideologische „Diskurse“ als Umbruch wahrgenommen werden. Für Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa spielen die Binnenzäsuren –Titos Bruch mit Stalin 1948, der Tod Stalins 1953, die Tauwetterperiode in der Sowjetunion 1956, die Niederschlagung des ungarischen Aufstands 1956 und des Prager Frühlings 1968, die strengere politische Linie in Jugoslawien in den frühen 1970er Jahren usw. – eine noch wichtigere Rolle, als die aus der westlichen Perspektive postulierten großen „Wenden“ von 1945 und 1989-91. Schwankungen, unterschiedliche Dynamiken und Ausrichtungen der „Wende“, die progressiv oder regressiv ausfallen können (z.B. Wiederbelebung der Ästhetik des kommunistischen „neuen Menschen“), verlangen nach einer Pluralität der Kunstgeschichtsschreibungen, die erst geschrieben werden müssen. Zu dieser Erkenntnis gelangt man erst durch eine komparatistische Perspektive auf die Kunst- und Mediensysteme in verschiedenen Regionen in Osteuropa, die trotz der historischen Gemeinsamkeiten eigenständige Kunstentwicklungen einschlugen.
Es handelte sich um eine erfolgreiche, sehr gut besuchte Veranstaltung, die nicht nur äußerst anregend für die TeilnehmerInnen war, sondern auch unseren Studierenden, Nachwuchswissenschaftlern, Kollegen und Gästen von anderen Institutionen in Leipzig und der Umgebung eine Plattform für Austausch und Diskussion bot.
Tanja Zimmermann