Sonderfonds Östliches Europa
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Sanna Schondelmayer: Polinnen in Berlin. Migration und Mobilität im kreativen Milieu (Forschungsprojekt)

Dr. Sanna Schondelmayer: Bericht Forschungskonzeption: „Polinnen in Berlin. Migration und Mobilität im kreativen Milieu.“

 

Das vorliegende Forschungsprojekt konnte Dank der Unterstützung des Schroubek Fonds Östliches Europa im Rahmen eines Leopold-Kretzenbacher-Stipendium auf der Grundlage einer Pilotstudie entwickelt werden. Neben einer Mikroerhebung im Feld (Interviews, Mental Maps & Nethnographische Zugänge) war insbesondere die Vorstellung und Diskussion des Vorhabens auf dem DGV-Kongress: Wa(h)re „Kultur“? Kulturelles Erbe, Revitalisierung und die Renaissance der Idee von Kultur: Sektion: 40. Migrants as Agents of Cultural Transformation? Migration and Practices of Diversity between “East and West” vom 14. – 17. September 2011 in Wien, auf der deutsch-polnischen Fachtagung für Akademiker/innen und Nachwuchswissenschaftler/innen in der Europäischen Akademie Berlin. 21.Mai 2011 sowie im „Labor Migration“ des Instituts für Europäische Ethnologie in Berlin wegweisend. Hervorzuheben sind hier die kritisch-konstruktiven Rückmeldungen von Dr. Kamila Mazurek, Jagielonien Universität Krakau, von Prof. Dr. Jasna Capo, Institut za etnologiju i folkloristiku, Zagreb sowie Prof. Dr. Regina Römhild, Institut für Europäische Ethnologie Berlin. Mein ganz besonderer Dank gilt jedoch den Akteurinnen, die bereit waren, mir in Interviews, durch gemeinsame Stadtspaziergänge und Einblicke in ihre virtuellen und analogen Mobilitätspraktiken einen dichteren Blick ins Feld ermöglichen.

 

Projektbeschreibung:

Zwischen Prekarisierung und Karriere bewegen sich die Polinnen, die im Fokus des geplanten Forschungsprojektes stehen; sie sind Künstlerinnen und Medienschaffende, Projektemacherinnen und Querdenkerinnen. Polinnen tragen, als noch junge EU-Bürgerinnen und aufgrund jahrhundertlanger Stereotypen vom unzivilisierten Osten, einerseits den „Stempel“ Migrantin; es tauchen Bilder von Putzfrauen und illegalisierten Pflegerinnen auf. Andererseits werden sie in etlichen wissenschaftlichen Publikationen als unsichtbar oder unhörbar beschrieben. In der Kunst-, Kultur- und Medienszene sind sie jedoch alles andere als das. Schon lange findet in Berlin ein vitaler Austausch von Ideen, Gedanken und Objekten zwischen AkteurInnen der Nachbarländer Deutschland und Polen statt und Berlin ist in Europa, neben London, der Hauptanziehungspunkt für mobile Polinnen. Ethnographien zu Polinnen im kreativen Milieu stellen jedoch bisher eine Forschungslücke dar, die das geplante Projekt füllen möchte. Zwei zentrale Perspektivverschiebungen sollen zudem neue Erkenntnisse für den Diskurs über Migration und Transnationalismus bringen. Erstens werden die, bislang eher in getrennten Forschungsfeldern genutzten Begriffe, Migration und Mobilität verknüpft und die Frauen somit im Spannungsfeld hegemonialer Zwänge einerseits sowie individueller Aneignungs- und Subversionspraktiken andererseits betrachtet. Mobilität als Bewegung von Menschen und Dingen ist zumeist positiv konnotiert und verweist auf eine Unversehrtheit von Körper und Geist. Migration hingegen erscheint als Devianz, als Problem das gelöst oder zumindest überwacht und kontrolliert werden muss. Diese Dichotomie soll hinterfragt werden. Zweitens wird durch die Fokussierung auf “Milieu“, das üblicherweise nicht ethnisch markiert wird, die ethnische Gruppe nachrangig, und soziale sowie kulturelle Lebensstile geraten in den Vordergrund. Durch diese zwei zentralen Blickwechsel wird die Frage der Zugehörigkeit von Menschen einerseits und ihre Verortung und Verstetigung andererseits neu gestellt. Mobilität, bzw. Mobilitätspraktiken sollen auf mehreren Ebenen untersucht werden, die unterschiedliche methodische Zugänge erfordern. Einerseits wird die lokale, physische Mobilität betrachtet. Aufgefächert – und mittels mental maps sichtbar gemacht – in verschieden Bereiche wie „Arbeiten“, „sich versorgen“, „in Gemeinschaft sein“ etc. Diese Ausdifferenzierung wirkt einer Ethnisierung und Homogenisierung entgegen, indem sie sichtbar macht, dass neben dem „Polnisch sein“, das „Künstlerin sein“, „lesbisch sein“, etc. komplexere Antworten auf Fragen von „Integration“ werfen kann (bzw. diese Formulierung durch adäquatere zu ersetzen vermag) als reduktionistische Fragen nach der Integration DER Polinnen und Polen an sich. Die zweite Ebene, auf der Mobilität untersucht werden soll, fordert einen methodischen Zugang zu den Bildern, Ideen in den Köpfen und Herzen der Akteurinnen. Durch Interviews – biographische und themenzentrierte – findet eine Annäherung an die mentale Mobilität statt, an die Vorstellungen, die mit Mobilität, Identität und Lebensweise verbunden sind. Indem versucht wird, sich den Imaginationen und Aspirationen der Akteurinnen zu nähern, wird ihr „way of belonging“ (vgl. Glick-Schiller/Levitt 2004: 1010f.) beleuchtet. Zu den oben beschriebenen zwei Ebenen von Mobilität – der physischen und mentalen – kommt die Frage nach der virtuellen Mobilität. Diese nimmt zwischen physischer und mentaler Mobilität eine Art Zwitterstellung ein, da sie sowohl als eine Ebene des Daseins, also physischer Präsenz – hier dann transformiert in virtuelle Körperlichkeit – als auch als einer Ebene der Dazugehörigkeit betrachtet werden kann. (kontakt: sanna-schondelmayer@culturebase.org)